Haupttreuhandstelle Ost

Die Haupttreuhandstelle Ost (HTO) war eine deutsche Behörde des Vierjahresplans zur Erfassung, Verwaltung und Verwertung des Vermögens des polnischen Staates und seiner Bürger während der deutschen Besetzung Polens 1939–1945. Sie hatte ihren Sitz in Berlin-Wilmersdorf[1].

Zuständigkeit

Am 19. Oktober 1939 informierte Hermann Göring, Beauftragter für den Vierjahresplan, den Reichsminister Hans Frank, Oberverwaltungschef bei dem Oberbefehlshaber Ost, per Brief über die Grundzüge der Haupttreuhandstelle Ost.[2] Die erste Veröffentlichung zur Errichtung der HTO mit der zunächst unvollständigen und verharmlosenden Beschreibung ihrer Aufgaben erfolgte durch Bekanntmachung vom 1. November 1939.[3] In den in das Deutsche Reich eingegliederten Ostgebieten, den Reichsgauen Westpreußen (am 2. November 1939 in Danzig-Westpreußen umbenannt) und Posen (1940 in Wartheland umbenannt) sowie den Regierungsbezirken Kattowitz und Zichenau,[4] war die HTO befugt, die Vermögenswerte des polnischen Staates und der polnischen Staatsangehörigen zu beschlagnahmen, sie kommissarisch zu verwalten und zu verwerten.[5][6][7]

Die ursprüngliche Zuständigkeit der HTO auch für das Generalgouvernement wurde beschränkt durch die Verordnung des Generalgouverneurs vom 15. November 1939.[8] Für das Generalgouvernement wurde eine von der HTO unabhängige Treuhandstelle mit Sitz in Krakau errichtet.

Die Verfügung über das landwirtschaftliche polnische Vermögen wurde dem Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums überlassen.[9] Durch Verordnung wurde im Februar 1940 die öffentliche Bewirtschaftung des polnischen land- und forstwirtschaftlichen Besitzes in den eingegliederten Ostgebieten angeordnet.[10] Die Verwaltung des landwirtschaftlichen Privatbesitzes übernahm die Ostdeutsche Landbewirtschaftungsgesellschaft mbH als Generalverwalter.[11] Die Verwaltung der polnischen Staatsdomänen erfolgte durch den Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, die Verwaltung der Forsten durch den Reichsforstmeister.

Organisation

Geschäftsverteilungsplan der Haupttreuhandstelle Ost mit Stand 30. Mai 1941

Mit der Leitung der HTO beauftragte Hermann Göring in den Tagen um den 12. Oktober 1939 den Bürgermeister a. D. Max Winkler, der unmittelbar begann, die Organisation der HTO aufzubauen.[12] Schon am nächsten Tag sprach Winkler beim Präsidenten des Rechnungshofs des Deutschen Reichs Heinrich Müller[13] vor und bat um eine ständige Abordnung von Sachbearbeitern an die HTO, um die Arbeit der HTO durch eine laufende Kontrolle des Rechnungshofs abzusichern.[14]

Erster Stellvertreter von Max Winkler und Leiter der Abteilung I, zuständig für Grundsätzliches, war Erich Krahmer-Möllenberg, Mitbegründer und von 1920 bis 1940 geschäftsführerender Vorstand der Deutschen Stiftung Berlin zur Förderung des Deutschtums im Ausland. Die Abteilung II, zuständig für Banken, Versicherungen und Geldverkehr, leitete der Bankkaufmann Friedrich Merten. Zum Leiter der Abteilung III, zuständig für Industrie, wurde Jacob Herle, von 1919 bis 1934 Geschäftsführer des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, ernannt. Nach Herles Ausscheiden übernahm der Jurist Robert Brebeck, zuvor als Ministerialdirigent beim Reichskommissar für Preisbildung tätig, die Abteilungsleitung. Leiter der Abteilung IV, zuständig für öffentliches Vermögen, wurde Hermann Höpker-Aschoff, von 1925 bis 1931 preußischer Finanzminister und ab 1951 erster Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Die Abteilung Recht wurde von dem Landgerichtsrat Bruno Pfennig geführt. Erwin Reetz leitete die Sonderabteilung Altreich, zuständig für die Erfassung und Verwaltung des polnischen Privatvermögens im Altreich, und war zugleich Geschäftsführer der GHTO. Krahmer-Möllenberg, Merten, Herle, Pfennig und Reetz waren schon vor ihrer Tätigkeit bei der HTO langjährige Wegbegleiter von Max Winkler.

Im Zuständigkeitsbereich der HTO wurden mehrere Treuhandstellen vor Ort errichtet. Diese Treuhandstellen befanden sich in Gotenhafen (Gdynia), Zichenau (Ciechanów), Posen (Poznań) und Kattowitz (Katowice). In Litzmannstadt (Łódź) wurde eine Nebenstelle der Treuhandstelle Posen eröffnet. Die Treuhandstellen hatten die von der HTO erarbeiteten allgemeinen Richtlinien, Anordnungen und Verwaltungsvorschriften anzuwenden. Die HTO entschied über Beschwerden gegen Maßnahmen der Treuhandstellen und konnte Kontrollen und Rechnungsprüfungen durchführen. Die Verwaltung und Verwertung der Großbetriebe mit mehr als 500.000 RM Wert verblieb bei der HTO.[15]

In den Jahren 1939–1945 gab es bei der HTO mehrere Reorganisationen der Geschäftsverteilung entsprechend jeweiligem Arbeitsschwerpunkt mit Umbenennung von Abteilungen, Gruppen und Referaten und zahlreiche personelle Umbesetzungen in den Führungspositionen. Auch die Personalstärke variierte fortlaufend. Die höchste Beschäftigtenzahl wurde bei der HTO in Berlin im Dezember 1941 mit 356 Mitarbeitenden festgestellt.[16]

Die Erfassung und Verwaltung des Wohnhausbesitzes wurde durch Anordnung vom 27. Mai 1940 der Grundstücksgesellschaft der Haupttreuhandstelle Ost (GHTO) übertragen.[17] Die Erfassung und Verwaltung von Rohstoffen und Wirtschaftsgütern oblag der Verwaltungs- und Verwertungs-Gesellschaft der Haupttreuhandstelle Ost mbH (VVG). Es gab weitere mit besonderen Aufgaben betraute Gesellschaften wie die Handelsaufbau Ost GmbH (HAO), diverse Auffanggesellschaften für Kriegsteilnehmerbetrieb des Handels, die Landwarenhandels-Gesellschaft für den deutschen Osten mbH, die Aufbaugesellschaft des ostdeutschen Landmaschinenhandels mbH, die Hotel- und Gaststättengesellschaft für das Wartheland, Danzig-Westpreußen und Ostoberschlesien mbH, die Handwerksaufbau-Ost mbH und die Allgemeine Film-Treuhand GmbH.

Tätigkeit

Die Kompetenzen und Befugnisse der Haupttreuhandstelle wurden von Göring in dem Runderlass vom 19. Oktober 1939 festgelegt.[18] Unter anderem sollte in den von den deutschen Truppen besetzten polnischen Gebieten, die dem deutschen Reich politisch angegliedert worden waren, das Vermögen des polnischen Staates sowie das Privatvermögen „polnischer und jüdischer Hand“ erfasst werden und das Geld- und Kreditwesen geregelt werden. Die Haupttreuhandstelle veranlasste die „Beschlagnahme des Grund und Bodens des ehemals polnischen Staates, der ausgewiesenen polnischen Intelligenz und aller wegen Feindseligkeiten erschossenen oder ausgewiesenen Polen.“[19] Ein „Nahplan“ des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom Dezember 1939 sah vor, 600.000 Juden zu vertreiben und ihr Vermögen einschließlich des Wohnungsmobiliars „im Einvernehmen mit den Treuhandstellen“ zu beschlagnahmen und zu verwerten.[20]

Im August 1940 erließ der Leiter der Haupttreuhandstelle Ost eine Verfügung über die Verwertung des beschlagnahmten Vermögens.[21] Danach sollten rund zehn Prozent des kommissarisch verwalteten Haus- und Grundbesitzes, der Industrie-, Handels- und Handwerksbetriebe sowie der Banken und Versicherungen gegen einen angemessenen Kaufpreis an zuverlässige und geeignete Bewerber übertragen werden. Als individuelle Bewerber kamen Volksdeutsche infrage, die ihren Wohnsitz vor 1939 in Polen hatten oder ihn 1918 verlassen mussten, sowie auslandsdeutsche Umsiedler. Reichsdeutsche sollten „zur Gewährleistung der berechtigten Ansprüche der im Felde stehenden Soldaten“ nur berücksichtigt werden, wenn sie selbst als Kriegsteilnehmer aus dem Heer entlassen worden waren.

Siehe auch

Literatur

  • Jeanne Dingell: Zur Tätigkeit der Haupttreuhandstelle Ost, Treuhandstelle Posen 1939 bis 1945. (=Europäische Hochschulschriften Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 955) Lang, Frankfurt am Main u. a. 2003, ISBN 3-631-50569-8. (Zugleich: Berlin, Freie Univ., Diss., 2002)
  • Czeslaw Łuczak: Grabież polskiego mienia na ziemiach zachodnich Rzeczypospolitej "wcielonych" do Rzeszy 1939–1945: wydawnictwo źródłowe [Die Plünderung des polnischen Eigentums in den westl. Gebieten der Republik: Polen wurde 1939–1945 in das Reich eingegliedert]. Poznań: Uniw. im. Adama Mickiewicza, 1969. Enthält HTO-Rechenschaftsbericht 1939–1942.
  • Bernhard Rosenkötter: Treuhandpolitik. Die „Haupttreuhandstelle Ost“ und der Raub polnischer Vermögen 1939–1945. Essen, Klartext-Verlag, 2003, ISBN 3-89861-141-8.
  • Ingo Loose: Kredite für NS-Verbrechen. Die deutschen Kreditinstitute in Polen und die Ausraubung der polnischen und jüdischen Bevölkerung 1939–1945. (=Studien zur Zeitgeschichte 75). Oldenbourg, München 2007, ISBN 978-3-486-58331-1 (Volltext digital verfügbar) (Zugleich: Berlin, Freie Univ., Diss., 2005) (Ausgezeichnet mit dem „Prix Jacques Rozenberg“ 2005)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. EHRI-Portal (European Holocaust Research Infrastructure), "Haupttreuhandstelle Ost und Treuhandstellen"
  2. Schreiben von Hermann Göring an Hans Frank vom 19. Oktober 1939 über die Grundzüge der Haupttreuhandstelle Ost (Auszüge). In: Nacht über Europa. Bd. 2. Die faschistische Okkupationspolitik in Polen (1939–1945). Dokumentenedition. Köln: Verlag Pahl-Rugenstein, 1989, Nr. 24, S. 132.
  3. Bekanntmachung über die Errichtung einer Haupttreuhandstelle Ost vom 1. November 1939. In: Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 260 vom 6. November 1939.
  4. Erlass des Führers über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939. In: RGBl. I (1939), S. 2042 f.
  5. Verordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan über die Sicherstellung des Vermögens des ehemaligen polnischen Staates vom 15. Januar 1940. In: Reichsgesetzblatt Teil I S. 174.
  6. Bekanntmachung über die Haupttreuhandstelle Ost vom 12. Juni 1940. In: Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 139 vom 17. Juni 1940, S. 3.
  7. Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates vom 17. September 1940. In: Reichsgesetzblatt. Teil 1, S. 1270 ff.
  8. Verordnung über die Errichtung einer Treuhandstelle für das Generalgouvernement vom 15. November 1939. In: Verordnungsblatt des Generalgouverneurs, 1939, Nr. 6, S. 31.
  9. Erlass des Reichsführers SS betreffend Zusammenarbeit der Behörden des Reichsführers SS mit der Haupttreuhandstelle Ost vom 10. November 1939.
  10. Verordnung über die öffentliche Bewirtschaftung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und Grundstücke in den eingegliederten Ostgebieten vom 12. Februar 1940. RGBl. I (1940), Nr. 30, S. 355–357.
  11. Erlass des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft vom 28. Februar 1940.
  12. Nürnberger Prozesse, Dokument zur Interrogation Max Winkler, Nr. 1580 D vom 27 Januar 1948. In: Rosenkötter, Treuhandpolitik, S. 81.
  13. Nicht identisch mit dem gleichnamigen Leiter der der Geheimen Staatspolizei und SS-Gruppenführer.
  14. Rosenkötter, Treuhandpolitik, S. 81.
  15. BArch R144/317: Zweite Anordnung über die Haupttreuhandstelle Ost vom 17. Februar 1941. Veröffentlicht in: Deutscher Reichsanzeiger 1941, Nr. 61.
  16. Rechenschaftsbericht der HTO über ihre Tätigkeit in den Jahren 1939–1942, in: Łuczak, Grabież polskiego mienia na ziemiach zachodnich Rzeczypospolitej, S. 49.
  17. Anordnung der Haupttreuhandstelle Ost über die Behandlung von Grundstücken in den eingegliederten Ostgebieten vom 27. Mai 1940. Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 122 vom 28. Mai 1940, S. 2.
  18. Akten der Reichskanzlei Die Regierung Hitler. Band IV 1939, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2012, ISBN 978-3-486-71257-5, S. 642 ff.
  19. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. (Quellensammlung) Band 4: Polen – September 1939-Juli 1941. (bearb. von Klaus-Peter Friedrich), München 2011, ISBN 978-3-486-58525-4, S. 113.
  20. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Bd. 4, München 2011, ISBN 978-3-486-58525-4, S. 192.
  21. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Bd. 4, München 2011, ISBN 978-3-486-58525-4, Dokument 155, S. 355–359.

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Graphische Darstellung der Geschäftsverteilung bei der Haupttreuhandstelle Ost mit Stand 30. Mai 1941