Gunji Koizumi

Gunji Koizumi (jap. 小泉 軍治, Koizumi Gunji; * 8. Juli 1885 in Inashiki; † 15. April 1965 in London), unter Sportkollegen auch kurz G.K.[1][2] genannt, war ein japanischer Judoprofessor (Sensei) und wird als Stammvater (Grandpa)[3][4] des Judosports in Großbritannien bezeichnet. Er gründete die Europäische Judo-Union[1] und war Mitbegründer der British Judo Association (BJA)[5]. Koizumi wurde vom Kodokan mit dem 8. Dan Judo geehrt.[1]

Kindheit und Jugend

Koizumi kam 1885 im Dorf Komatsuka Oaza zur Welt, das damals ca. 32 km nördlich von Tokio lag und heute zu Inashiki in der Präfektur Ibaraki[6] gehört. Er war der jüngere Sohn des Landpächters und Bauern Shukichi Koizumi und dessen Frau Katsu. Koizumi hatte einen älteren Bruder, Chiyokichi, und eine jüngere Schwester, Iku.[6] Als Koizumi zwölf Jahre alt war, begann er in der Schule Kendō zu trainieren, die Schwertkunst der Samurai.[6] Von einem Nachbarn, der nach längerem Aufenthalt aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, lernte er Englisch zu sprechen und zu schreiben.[6] Im Juli 1900, kurz vor seinem 15. Geburtstag, verließ er das elterliche Zuhause um sein Glück in Tokio zu suchen. Dort trat er eine Berufsausbildung im staatlichen Telegraphenamt an und begann 1901 bei Tago Nobushige mit dem Jiu-Jitsu-Training nach Art des Tenjin Shinyō-ryū.[6] Nach Abschluss der Berufsausbildung blieb er zuerst als Telegrafist in Tokio und arbeitete danach bei der Eisenbahn in Korea. Sein Training in den Kampfkünsten setzte er 1904 bei Yamada Nobukatsu[6] fort, einem früheren Samurai[1]. 1904 entschied sich Koizumi Elektrotechnik zu studieren und meinte, dass dafür ein Aufenthalt in den Vereinigten Staaten die besten Chancen biete.[6] Auf dem Weg dahin reiste er nach Westen und verdiente sich sein Reisegeld nacheinander in Shanghai, Hongkong, Singapur und Indien. Als er sich 1905 in Singapur aufhielt, trainierte er bei Tsunejiro Akishima.[1][6]

Aufbau seiner Existenz in Großbritannien

Am 4. Mai 1906 kam Koizumi an Bord des Dampfschiffs SS Romsford[6] in Nordwales im Hafen von Mostyn an. Von dort reiste er sofort weiter nach Liverpool, wo er kurzzeitig eine Stelle als Jiu Jitsu-Lehrer an der Kara Ashikaga School of Ju-Jutsu annahm.[6] Er zog bald weiter nach London, um mit dem Lehrmeister des früheren Bartitsu Clubs, Sadakazu Uyenishi, zusammenzuarbeiten, der am Piccadilly Circus eine Jiu Jitsu-Schule betrieb.[7] 1907 begann Koizumi auch am Londoner Polytechnikum und bei der Royal Navy für die Royal Naval Volunteer Reserve als Jiu Jitsu-Lehrer zu arbeiten.[8] Nach wenigen Monaten in London bestieg Koizumi ein Schiff nach New York City, wo er im Mai 1907 eintraf.[6] Er nahm eine Arbeit bei der Newark Public Eisenbahngesellschaft an, konnte sich in den folgenden drei Jahren nicht mit der amerikanischen Lebensweise anfreunden und kehrte schließlich nach England zurück.[6] In der Londoner Vauxhall Road versuchte Koizumi ein Geschäft für elektrische Beleuchtungen aufzubauen, scheiterte aber wegen zu wenig eigenen Kapitals.[6]

Koizumi war Judoprofessor, aber auch Berater des Victoria and Albert Museums auf dem Gebiet orientalischer Lackkunst.

Im Januar 1912 eröffnete er in der Londoner Ebury Street ein Studio für orientalische Lackwaren[6], das ihm im Verlauf mehrerer Jahre zu beträchtlichem Wohlstand verhalf. Als Experte auf dem Gebiet orientalischer Lackkunst wurde Koizumi ab 1922 beratend für das Victoria and Albert Museum tätig und katalogisierte später dessen gesamte Lackkunst-Kollektion.[9]

Gebäude des Budokwai Judo Club
Gebäude des Budokwai Judo Club

Auf eigene Kosten gründete Koizumi 1918 in London den Sportclub Budokwai,[2][10][11] der den Einwohnern Großbritanniens das Studium und Training in fast allen Budō-Sportarten anbieten sollte.[4]

Koizumi erwarb für den Budokwai ein Gebäude am Lower Grosvenor Place, direkt hinter dem Buckingham Palace[4] und eröffnete die Räumlichkeiten des Sportclubs am 26. Januar 1918.[5] Als ersten professionellen Budō-Lehrer nahm er Yukio Tani unter Vertrag, der schon sehr erfolgreich im Bartitsu Club gearbeitet und durch Vorführungen seiner Kampfkünste in England Berühmtheit erlangt hatte.

1919 war Koizumi Gründungsmitglied der Wohltätigkeits-Gesellschaft Kyosai Kai, die Japanern in England Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche anbot und medizinische Hilfe leistete. Diese Gesellschaft, in der Koizumi als Generalsekretär mitarbeitete, war in den Räumlichkeiten des Budokwai untergebracht.[10] Im Juli 1920 besuchte Jigoro Kano, der Gründer des Kōdōkan, den Budokwai auf seiner Reise zu den Olympischen Spielen in Antwerpen. Nach einigen Diskussionen mit Kano waren Koizumi und Yukio Tani damit einverstanden Judo nach den Grundsätzen des Kodokan zu lehren. Daraufhin wurden beide von Kano mit dem 2. Dan ausgezeichnet.[6][11]

Unter der Führung Koizumis nahm der Budokwai 1926 in Köln im Rahmen der 2. Deutschen Kampfspiele an den ersten deutschen Judo-(Jiu-Jitsu)-Meisterschaften teil, die als internationaler Wettkampf ausgeschrieben waren. Dabei befasste sich Koizumi auch näher mit Alfred Rhode und dessen Vorstellungen zur weiteren Entwicklung des Jiu-Jitsu/Judos als Kampfsportart. Rohde und Koizumi organisieren daraufhin 1929 einen Mannschaftswettkampf englischer und deutscher Judoka in Deutschland. 1928 gründete Koizumi mit Mikinosuke Kawaishi, der sich in England als Jiu Jitsu-Lehrer niederlassen wollte, eine Jiu Jitsu- und Judo-Schule in Liverpool. Daraus entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft. Koizumi unterstützte Kawaishi 1931 in London bei der Gründung des Victoria Working Men’s Club, einem Anglo-Japanischen Judo Club. Außerdem beteiligte er Kawaishi an der Jiu Jitsu- und Judo-Ausbildung der Studenten in Oxford. Der Kodokan verlieh Koizumi 1932 den 4. Dan Judo.[12]

Während des Zweiten Weltkriegs hielt Koizumi den Budokwai mit großem finanziellen Aufwand für das Judo-Training offen.[6] Sein Biograf Richard Bowen weist auf die außergewöhnliche Tatsache hin, dass Koizumi als Japaner in England während dieser Zeit nicht interniert wurde und auch sonst keinerlei Restriktionen ausgesetzt war.[6] Nach dem Krieg nahm Koizumi wieder Verbindung mit Kawaishi in Frankreich auf. Beide organisierten 1947 erstmals einen internationalen Judo-Länderkampf, wobei die besten britischen und französischen Judoka im Kampf um den Kawaishi Cup gegeneinander antraten.

Am 24. Juli 1948 erfolgte mit Beteiligung und Unterstützung durch Koizumi die Gründung der British Judo Association (BJA).[4] Die Gründungsmitglieder der BJA beriefen ihn zum Inaugurations-Präsidenten.[11] Auf Koizumis Initiative hin kam es 1948 zur erneuten Gründung[13] der Europäischen Judo-Union (EJU) und der Kodokan zeichnete ihn mit dem 6. Dan Judo aus.[12] Auf Vorschlag Koizumis wurde der Europäer John Barnes zum Gründungspräsidenten der EJU berufen. Ab 1949 zog sich Koizumi aus seinen Geschäften zurück, um sich danach mit ganzer Kraft der Judo-Ausbildung in Großbritannien zu widmen.[6] 1951 verlieh ihm das Kodokan den 7. Dan Judo.[12]

Koizumi war verheiratet und hatte eine Tochter mit dem Namen Hana[14], die später mit Percy Sekine verheiratet war[6], einem der Judo-Studenten Koizumis.

Lebensende

Koizumi besuchte 1954 Tokio und seinen Geburtsort, der in der Stadt Inashiki untergegangen war, zum ersten Mal nach über 50 Jahren.

Am 19. September 1954 zog der Budokwai in neue, größere Räumlichkeiten um. Kurz danach besuchte Koizumi zum ersten Mal nach über 50 Jahren Japan.[6] Seine Schwester, einige Verwandte und eine Delegation des Kodokan unter der Leitung des Präsidenten Risei Kanō, ein Sohn Jigoro Kanos, empfingen ihn feierlich am Flughafen Tokio-Haneda.[6] Der Kodokan behandelte ihn als Ehrengast.[6] Seinen Geburtsort, im Stadtgebiet von Inashiki gelegen, erkannte er nicht wieder. Von der Japanreise kehrte Koizumi nach London zurück, das seine Heimat geworden war, und schrieb einige Judo-Bücher, darunter Judo: The basic technical principles and exercises.[15] und My study of Judo: The principles and the technical fundamentals.[16] Seine Lehrtätigkeit als Judo-Professor setzte er im Budokwai sowie in Einrichtungen und Veranstaltungen der BJA bis in die frühen 1960er Jahre fort.

Die Nacht bevor Koizumi zu Tode kam, bemerkte Charles Palmer, einer von Koizumis Studenten und damals Präsident des Budokwai und der BJA, dass etwas mit Koizumi nicht stimmte. "An Stelle des üblichen freundlichen 'good-night', nahm Koizumi Palmers Hand, schüttelte sie und sagte 'good-bye' zu ihm."[2] Am 15. April 1965 nahm sich Koizumi in seiner Wohnung in Putney das Leben.[2] Koizumis Selbstmord erschütterte die Judo-Community weltweit und wurde widersprüchlich beurteilt.[2] Einige sahen seinen Suizid als unehrenhaft an, während andere vermuteten, er habe damit sein Lebensende als ehrenhafter Samurai selbst bestimmt.[2] C. Grant zufolge war Koizumi vom Kodokan der 8. Dan Judo noch zu Lebzeiten verliehen worden.[1] Alan Fromm und Nicolas Soames stellten dagegen 1982 fest, dass ihm der 8. Dan erst posthum verliehen worden sei.[17]

Aus der Vielzahl der Studenten, die bei Koizumi im Budokwai den Judosport in aller Vollkommenheit erlernten, sind besonders Trevor Leggett, Richard Bowen, Charles Palmer (Präsident der IJF), Sarah Mayer (Erste Ausländerin, die vom Kodokan in Japan einen Dan verliehen bekam.), Percy Sekine (Präsident des Budokwai) und Brian Jacks hervorzuheben.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f C. Grant: A Judo landmark: Gunji Koizumi – G.K.'s 'New Judo' attracted Britain's professional classes.; Judo-Journal Black Belt, Jahrgang 3, Heft 11, 1965, S. 10–14.
  2. a b c d e f K. Tsumura: He died a Samurai's death: Two world Judo leaders defend the honour of G.K., Founder of British Judo, who took his own life.; Judo-Journal Black Belt, Jahrgang 4, Heft 6, 1966, S. 48–50.
  3. J. D. Schilder: Grandpa sets an example.; Judo-Journal Black Belt, Jahrgang 5, Heft 2, 1967, S. 46–47.
  4. a b c d Budokwai: Die Geschichte des Budokwai. (engl.; veröffentlicht 2005; zuletzt abgerufen am 25. Februar 2010.)
  5. a b Thomas A. Green, Joseph R. Svinth: Martial arts in the modern world.; Praeger Publishers, Santa Barbara 2003, ISBN 978-0-275-98153-2.
  6. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v Ian Hill Nish, Hugh Cortazzi: Britain & Japan.; Verlag RoutledgeCurzon, London/New York 2003, ISBN 978-1-903350-14-0.
  7. G. G. Chatterton: The gentle art of ju-ju-tsu.; Chambers's Journal, Heft 7, 1907, S. 751–752.
  8. Gunji Koizumi: My study of Judo: The principles and the technical fundamentals.; Sterling Publishing, New York 1960, S. 17–18.
  9. Gunji Koizumi: Lacquer work: A practical exposition of the art of lacquering together with valuable notes for the collector.; Pitman House Limited, London 1923.
  10. a b Keiko Itho: The Japanese community in pre-war Britain.; Verlag RoutledgeCurzon, London/New York 2001, ISBN 978-0-7007-1487-2.
  11. a b c S. Walker: Gunji Koizumi (1885–1965) (Memento vom 3. März 2016 im Internet Archive) (engl.; veröffentlicht 2005; zuletzt abgerufen am 25. Februar 2010.)
  12. a b c Budokwai: Persönlichkeiten der Vergangenheit. (Memento desOriginals vom 10. September 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.budokwai.org (engl.; veröffentlicht 2005; zuletzt abgerufen am 26. Februar 2010.)
  13. Auf Initiative des Deutschen Judo-Rings und Alfred Rhodes wurde 1932 in Zürich erstmals eine Europäische Judo-Union gebildet, die aber auf Grund der politischen Einflussnahme des NS-Staates in den Wirren des Zweiten Weltkriegs unterging.
  14. Richard Bowen: An Englishwoman's description of learning Judo in Japan: Letters from Sarah Mayer to Gunji Koizumi, 1934–1935, Part I.; Journal of Combative Sport Science. (veröffentlicht im Februar 2000; zuletzt abgerufen am 26. Februar 2010.)
  15. Gunji Koizumi: Judo: The basic technical principles and exercises, supplemented with contest rules and grading syllabus.; Verlag Foulsham, Berkshire UK 1958
  16. Gunji Koizumi: My study of Judo: The principles and the technical fundamentals.; Verlag Sterling, New York 1960.
  17. Alan Fromm, Nicolas Soames: Judo, the gentle way.; Publisher Routledge/Thoemms Press, London 1982, ISBN 978-0-7100-9025-6.

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