Gerhard Schürer

(c) Bundesarchiv, Bild 183-1982-1123-416 / CC-BY-SA 3.0
Gerhard Schürer (1982)

Paul Gerhard Schürer (* 14. April 1921 in Zwickau; † 22. Dezember 2010 in Berlin) war ein deutscher Politiker (SED). Er war von 1965 bis 1990 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR und Mitglied des Politbüros des ZK der SED.

Leben

Ausbildung

Schürer absolvierte nach dem Besuch der Volksschule von 1936 bis 1939 eine Lehre als Maschinenschlosser und leistete bis 1945 Kriegsdienst, zuletzt als Fluglehrer an der Luftkriegsschule Klotzsche bei Dresden. Nach dem Krieg arbeitete er als Schlosser und Kraftfahrer. 1947 bis 1951 besuchte er die Industrieverwaltungsschule in Mittweida.

Partei

1948 trat er der SED bei, besuchte 1952 die Landesparteischule und war bis 1955 Mitarbeiter der Abteilung Planung und Finanzen beim Zentralkomitee der SED. Nach dem Besuch der Parteihochschule der KPdSU in Moskau war er von 1958 bis 1960 stellvertretender Abteilungsleiter und bis 1962 Leiter der Abteilung Planung, Finanzen und technische Entwicklung des ZK der SED sowie Mitglied der Wirtschaftskommission beim Politbüro des ZK der SED. Seit 1962 war er stellvertretender Vorsitzender und seit 1965 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission und Mitglied des Präsidiums des Ministerrates, außerdem seit 1966 Ko-Vorsitzender der Paritätischen Regierungskommission für wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit DDR-UdSSR.

Seit 1963 war Schürer Mitglied des Zentralkomitees der SED, seit 1967 Abgeordneter der Volkskammer und seit 1973 Kandidat des Politbüros des ZK der SED. Er wurde jedoch erst nach der Wende – einige Wochen vor dessen Auflösung – Vollmitglied des Politbüros.

Kontroversen mit Günter Mittag und Erich Honecker

In der Endphase der DDR konnte er sich gegenüber dem mächtigen ZK-Wirtschaftssekretär Günter Mittag nicht durchsetzen.[1] Als Schürer im Ziel der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik eine Überforderung der DDR-Wirtschaft erkannte sowie die drohende Devisenzahlungsunfähigkeit im SED-Politbüro ansprach, wurde er von Erich Honecker als „Saboteur“ bezeichnet, was im Sinne einer Subversion in sozialistischen beziehungsweise kommunistischen Parteien einer der schwersten Vorwürfe war.

Schürer-Bericht

Gemeinsam mit Gerhard Beil, Ernst Höfner, Arno Donda und Alexander Schalck-Golodkowski verfasste er die Politbürovorlage Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen[2] für die Politbürositzung vom 30. Oktober 1989, die vom Generalsekretär des ZK der SED, Egon Krenz in Auftrag gegeben worden war. In dieser wurde aus der hohen Staatsverschuldung gegenüber den westlichen Ländern (Auslandsverschuldung) in Höhe von 49 Mrd. Valutamark die unmittelbar bevorstehende Zahlungsunfähigkeit der DDR gefolgert.[3][2] Die Aussagen wurden später relativiert: Die Devisenliquidität war 1989 laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sowie der Bundesbank tatsächlich vorhanden (tatsächliche Schulden gegenüber dem Westen knapp 20 Mrd. Valutamark).[4] Entsprechend den damaligen SED-Beschlüssen sind aber diese Guthaben, vor allem die des weitverzweigten Bereiches Kommerzielle Koordinierung (KoKo) als „Devisenausländer“, nicht in die Bilanz der Politbürovorlage eingeflossen, wie Schürer in späteren Veröffentlichungen ausführte.[5][6]

Wende

Am 7. November 1989 trat das Kabinett Stoph VI geschlossen zurück. Schürer gehörte aber der folgenden Regierung Modrow erneut als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission und Mitglied des Ministerrates bis Januar 1990 an. Am 20./21. Januar 1990 wurde Schürer aus der SED-PDS ausgeschlossen.[7] Ein Verfahren wegen „verbrecherischer Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums“ und „Vertrauensmissbrauchs“ wurde von der Staatsanwaltschaft der DDR eingestellt. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaftanstalt nach 18 Tagen arbeitete Schürer unter anderem als Unternehmensberater bei Dussmann und den Bellinda-Strumpfwerken.[8]

Ehrungen und Auszeichnungen

Schürer erhielt 1964 den Vaterländischen Verdienstorden in Silber,[9] 1971 in Gold[10] sowie 1981 den Karl-Marx-Orden.[11]

Schriften & Interviews

  • Zu einigen Grundfragen des Perspektivplanes und seiner Durchführung. Dietz Verlag, Berlin 1967.
  • Grundfragen einer wissenschaftlich begründeten Planung. Dietz Verlag, Berlin 1968.
  • Zu einigen Fragen des Volkswirtschaftsplanes 1973. Dietz Verlag, Berlin 1972.
  • Zu einigen Problemen der Verwirklichung des vom 8. Parteitag beschlossenen Fünfjahrplanes 1971 bis 1975. Dietz Verlag, Berlin 1973.
  • Die Hauptaufgaben des Volkswirtschaftsplanes 1974 und der Weg zu seiner Verwirklichung. Dietz Verlag, Berlin 1974.
  • Die Aufgaben bei der weiteren Verwirklichung der sozialistischen ökonomischen Integration. Dietz Verlag, Berlin 1975.
  • Gewagt und verloren. Eine deutsche Biographie. 4. Auflage. Frankfurter Oder Editionen Buchverlag, Frankfurt (Oder) 1998, ISBN 3-930842-15-7.
  • Gewagt und verloren: Eine deutsche Biografie. edition ost, Berlin 2014, ISBN 978-3-360-01863-2 (Enthält den Wortlaut des „Schürer-Papiers“, ein Gespräch mit Egon Krenz und ein Nachwort von Herbert Graf).
  • Interviewausschnitte auf der Seite des Zeitzeugen-Portals zeitzeugen-portal.de.

Literatur

  • Lothar de Maizière: Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen. Herder, Freiburg 2010, ISBN 978-3-451-30355-5, S. 98, 242, 244–245.
  • Gewagt und verloren. In: Die Zeit Nr. 37/1997.
  • Jörg Roesler: Das sogenannte Schürerpapier. Bankrotterklärung oder verhinderter Start in die zweite umfassende Wirtschaftsreform der DDR? Helle Panke, hefte zur ddr-geschichte Nr. 152, Berlin 2020.
  • Hans-Hermann Hertle: Der Weg in den Bankrott der DDR-Wirtschaft. Das Scheitern der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ am Beispiel der Schürer-Mittag-Kontroverse im Politbüro 1988. In: Deutschland Archiv. Nr. 2. Verlag Wissenschaft und Politik, 1992, ISSN 0012-1428.
  • Andreas Malycha: Ungeschminkte Wahrheiten. Ein vertrauliches Gespräch von Gerhard Schürer, Chefplaner der DDR, mit der Stasi über die Wirtschaftspolitik der SED im April 1978. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Band 59, Heft 2, 30. März 2011, S. 283–305, doi:10.1524/vfzg.2011.0014.
  • Bernd-Rainer Barth, Helmut Müller-EnbergsSchürer, Gerhard Paul. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.

Weblinks

Commons: Gerhard Schürer – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Heinz Verfürth: Stunden der Wahrheit. Selbstkritik und gnadenlose Abrechnung mit den gestürzten SED-Mächtigen. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 16. November 1989, S. 3.
  2. a b Gerhard Schürer, Gerhard Beil, Alexander Schalck, Ernst Höfner und Arno Donda: Vorlage für das Politbüro des ZK der SED. Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen, 30. Oktober 1989.
  3. Gerhard Schürer, Gerhard Beil, Alexander Schalck, Ernst Höfner, Arno Donda: Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlußfolgerungen. Vorlage für das Politbüro des Zentralkomitees der SED. 30. Oktober 1989, abgerufen am 9. November 2015.
  4. Armin Volze: Zur Devisenverschuldung der DDR – Entstehung, Bewältigung und Folgen. In: Eberhard Kuhrt (Hrsg.): Am Ende des realen Sozialismus. Im Auftrag des Bundesministeriums des Innern. Band 4. Leske + Budrich Verlag, Opladen 1999, ISBN 978-3-8100-2744-3, S. 164.
  5. Gerhard Schürer: Planung und Lenkung der Volkswirtschaft in der DDR. In: Eberhard Kuhrt (Hrsg.): Am Ende des realen Sozialismus. Im Auftrag des Bundesministeriums des Innern. Band 4. Leske + Budrich, Opladen 1999, ISBN 978-3-8100-2744-3, S. 74.
  6. Gerhard Schürer: Gewagt und verloren. Eine deutsche Biographie. 4. bearb. Auflage. Frankfurter Oder Editionen Buchverlag, Frankfurt (Oder) 1998, ISBN 3-930842-15-7, S. 197 ff. und 318.
  7. Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht. In: rosalux.de. 10. Januar 2020, abgerufen am 14. September 2022.
  8. Gewagt und verloren. In: Die Zeit, Nr. 37/1997.
  9. Berliner Zeitung, 6. Oktober 1964, S. 6.
  10. Berliner Zeitung, 28. April 1971, S. 2.
  11. Karl-Marx-Orden verliehen. In: Neues Deutschland, 14. April 1981, S. 2.


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Das Staatswappen der Deutschen Demokratischen Republik.
„Das Staatswappen der Deutschen Demokratischen Republik besteht aus Hammer und Zirkel, umgeben von einem Ährenkranz, der im unteren Teil von einem schwarzrotgoldenen Band umschlungen ist.“
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ADN-ZB/DEWAG/23.1982
Berlin: Gerhard Schürer, Kandidat des Politbüros des ZK der SED, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR und Vorsitzender der Staatlichen Plankommission; geb. am 14.4.1921.