Erdbeben von Gölcük 1999

Erdbeben von Gölcük
Erdbeben von İzmit
Erdbeben von Gölcük 1999 (Türkei)
Datum17. August 1999
Uhrzeit00:01:39 UTC
IntensitätIX auf der MM-Skala
Magnitude7,6 MW
Tiefe17 km
Epizentrum40° 44′ 53″ N, 29° 51′ 50″ O
LandTürkei
Tsunamija
Tote18.373
Verletzte48.901


Erdbebenschäden in İzmit (26. August 1999)

Das Erdbeben von Gölcük ereignete sich am 17. August 1999 um 03:01 Uhr Ortszeit in der Türkei. Die am stärksten betroffenen Städte waren İzmit, Yalova, Gölcük und Adapazarı. Das Erdbeben, dessen Epizentrum rund 80 km ostsüdöstlich der Altstadt von Istanbul lag, erreichte die Magnitude 7,6 auf der Momenten-Magnituden-Skala. Es verursachte auch einen Tsunami im Marmarameer, die Welle war bis zu 2,5 Meter hoch. Die Zivilgesellschaft hat sich in der Zeit nach dem Erdbeben umfangreich gegenseitig unterstützt.

Geologie

Das Erdbeben entsprach der abrupten Bewegung zweier benachbarter Erdkrustenschollen an einem 130 km langen Abschnitt der Nordanatolischen Verwerfung zwischen der Eurasischen und der Anatolischen Platte. Dieser Abschnitt zog sich vom Golf von Izmit am Marmarameer bis weit ins Festland hinein. Der Versatzbetrag an der entsprechenden Verwerfung betrug mehr als fünf Meter.[1]

Opferzahlen und Schäden

In einer ersten Opferbilanz waren 17.480 Tote in folgenden Provinzen angeführt:

Laut einem 2010 veröffentlichten parlamentarischen Bericht der Großen Nationalversammlung der Türkei starben bei dem Beben insgesamt 18.373 Menschen und 48.901 wurden verletzt. In diesem Bericht heißt es, dass es zudem 505 Langzeitverletzte, 96.796 schwer beschädigte oder zerstörte Häuser, 15.939 schwer beschädigte oder zerstörte Unternehmen, 107.315 mäßig beschädigte Häuser, 16.316 mäßig beschädigte Unternehmen, 113.382 leicht beschädigte Häuser, 14.657 leicht beschädigte Unternehmen gab. Es wurden 40.786 Fertighäuser neugebaut und 147.120 Menschen mussten in Fertighäusern untergebracht werden.[2]

Das Museum des Erdbebens von 1999 in Adapazarı

Das Erdbeben hat in Yalova große Zerstörungen angerichtet. Obwohl das Erdbeben dort sehr stark zu spüren war, wird vermutet, dass die Ursache für die meisten Schäden durch die Verflüssigung des Gebiets verursacht wurden. Da das Gebiet größtenteils aus quartärem Schwemmland besteht und daher sehr anfällig für Verflüssigung ist, es rund 200 Bohrstellen und Bohrlöcher gibt und viele Bäche oder Flüsse in der Nähe sind, wurde eine starke Verflüssigung ausgelöst und registriert.[3]

Die Zerstörungen in Istanbul konzentrierten sich auf den Stadtteil Avcılar im Westen der Stadt. Avcılar wurde auf relativ schwachem Boden gebaut, der hauptsächlich aus schlecht konsolidiertem Sedimentgestein aus dem Känozoikum besteht, was diesen Bezirk für jedes Erdbeben anfällig macht.[4]

Aus Berichten vom September 1999 geht hervor, dass 120.000 schlecht gebaute Häuser irreparabel beschädigt wurden[5] und etwa 20.000 Gebäude einstürzten, was dazu führte, dass mehr als 250.000 Menschen nach dem Erdbeben obdachlos wurden.[6] Die direkten Schadenskosten werden auf 6,5 Milliarden US-Dollar geschätzt, die Folgekosten könnten jedoch 20 Milliarden US-Dollar überstiegen haben.[7]

Konsequenzen

Private Bauunternehmen sahen sich einer Gegenreaktion ausgesetzt, weil sie beim Bau von Wohngebäuden billige Materialien verwendeten. Viele dieser Bauunternehmen wurden strafrechtlich verfolgt, aber nur wenige wurden für schuldig befunden. Auch Regierungsbeamte gerieten in die Kritik, weil sie erdbebensichere Bauvorschriften nicht ordnungsgemäß durchsetzten.[8]

Als Reaktion auf das Erdbeben wurde in der Türkei eine 7,5-prozentige Erdbebensteuer eingeführt, um damit den Wiederaufbau zu finanzieren und um den Staat auf künftige Beben vorzubereiten.[9]

Rettungsmaßnahmen

Am Morgen des 17. August erging seitens der türkischen Regierung ein internationales Ersuchen um Hilfe.[10] Es wurde ein massiver internationaler Einsatz organisiert, um bei der Suche nach Überlebenden zu helfen und die Verwundeten und Obdachlosen zu versorgen. Rettungsteams wurden innerhalb der ersten beiden Tage nach der Katastrophe entsandt und die Hilfe für die Überlebenden wurde über Nichtregierungsorganisationen, den Türkischen Roten Halbmond und lokale Such- und Rettungsorganisationen abgewickelt.

Die folgende Tabelle zeigt die Aufteilung der Rettungsteams nach Ländern in den betroffenen Gebieten:[11]

GebietAusländische Such- und Rettungsteams aus
Gölcük, İzmitUngarn Ungarn, Israel Israel, Frankreich Frankreich, Korea Sud Südkorea, Belgien Belgien, Russland Russland,
Osterreich Österreich, Schweiz Schweiz, Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten, Island Island
YalovaDeutschland Deutschland, Ungarn Ungarn, Israel Israel, Polen Polen, Vereinigtes Konigreich Vereinigtes Königreich,
Frankreich Frankreich, Japan Japan, Osterreich Österreich, Rumänien Rumänien, Korea Sud Südkorea
AvcılarDeutschland Deutschland, Griechenland Griechenland
SakaryaDeutschland Deutschland, Bulgarien Bulgarien, Agypten Ägypten, Spanien Spanien
DüzcePolen Polen, Vereinigtes Konigreich Vereinigtes Königreich
BayrampaşaItalien Italien
KartalAserbaidschan Aserbaidschan

Griechenland war die erste Nation, die Hilfe und Unterstützung zusagte. Innerhalb weniger Stunden nach dem Erdbeben setzte sich das griechische Außenministerium mit seinen Amtskollegen in der Türkei in Verbindung und der Minister schickte seine persönlichen Gesandten in die Türkei. Das Ministerium für öffentliche Ordnung entsandte ein Rettungsteam von 24 Personen und zwei ausgebildete Rettungshunde sowie Löschflugzeuge, um bei den Löscharbeiten in der Tüpraş-Ölraffinerie zu helfen.[12] Diese Hilfeleistungen wird angesichts der angespannten Beziehungen beider Staaten als Erdbebendiplomatie bezeichnet.

Aus Deutschland wurde durch Ansuchen des Auswärtigen Amts und im Auftrag des Bundesministerium des Innern die Schnelleinsatzeinheit Bergung Ausland mit 65 Kräften des Technischen Hilfswerks entsandt.[10]

US-Präsident Bill Clinton besuchte später Istanbul und İzmit, um sich ein Bild vom Ausmaß der Zerstörung zu machen und mit den Überlebenden zu sprechen.[13][14]

Siehe auch

Weblinks

Commons: Erdbeben von Gölcük – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Tobias Mayer: Das Erdbeben von Gölcük. In: Deutschlandradio Kultur. 17. August 2009, abgerufen am 19. November 2016.
  2. Deprem Riskinin Araştırılarak Deprem Yönetiminde Alınması Gereken Önlemlerin Belirlenmesi Amacıyla Kurulan Meclis Araştırması Komisyonu Raporu. Türkiye Büyük Millet Meclisi, 2010 (türkisch, gov.tr).
  3. Ferhat Ozcep, Savaş Karabulut, Oguz Özel, Tazegul Ozcep, Nazire İmre, Halil Zarif: Liquefaction-induced settlement, site effects and damage in the vicinity of Yalova City during the 1999 Izmit earthquake, Turkey. In: Journal of Earth System Science. Band 123, Nr. 1, 1. Februar 2014, ISSN 0973-774X, S. 73–89, doi:10.1007/s12040-013-0387-7 (englisch).
  4. Mehmet Ergin, S. Özalaybey, M. Aktar, M. N. Yalçin: Site amplification at Avcılar, Istanbul. In: Tectonophysics (= Active Faulting and Crustal Deformation in the Eastern Mediterranean Region). Band 391, Nr. 1, 29. Oktober 2004, ISSN 0040-1951, S. 335–346, doi:10.1016/j.tecto.2004.07.021 (englisch, sciencedirect.com [abgerufen am 7. Februar 2023]).
  5. Today marks the 21st anniversary of Marmara Earthquake. Ilke News Agency, 17. August 2020, abgerufen am 7. Februar 2023 (englisch).
  6. Earthquake Insurance in Turkey: History of the Turkish Catastrophe Insurance Pool. World Bank Publications, 2006, ISBN 978-0-8213-6584-7 (englisch, google.com [abgerufen am 7. Februar 2023]).
  7. Robert Reilinger, Nafi Toksoz, Simon McClusky, Aykut Barka: 1999 Izmit, Turkey Earthquake Was No Surprise. In: Geological Society of America (Hrsg.): GSA Today. Band 10, Nr. 1, Januar 2000 (englisch, geosociety.org [abgerufen am 7. Februar 2023]).
  8. İzmit earthquake of 1999. In: Encyclopædia Britannica. Abgerufen am 7. Februar 2023 (englisch).
  9. Bülent Mumay: Was die Nation alles ertragen soll. In: faz.net. 7. Februar 2020, abgerufen am 10. Februar 2020.
  10. a b Unvergessener SEEBA-Einsatz – 20 Jahre nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei. Technisches Hilfswerk, 17. August 2019, abgerufen am 7. Februar 2023.
  11. Alex K. Tang: Izmit (Kocaeli), Turkey, Earthquake of August 17, 1999 Including Duzce Earthquake of November 12, 1999: Lifeline Performance. ASCE Publications, 2000, ISBN 978-0-7844-7486-0 (englisch, google.de [abgerufen am 7. Februar 2023]).
  12. North-Western Turkey in state of emergency after quake; Greek and international aid to Turkey. The Hellenic Radio, 18. September 1999, abgerufen am 7. Februar 2023 (englisch).
  13. Marc Lacey: In Turkey, Clinton Offers Quake Relief And Comfort. In: The New York Times. 17. November 1999, ISSN 0362-4331 (amerikanisches Englisch, nytimes.com [abgerufen am 7. Februar 2023]).
  14. Bill Clinton in der Türkei. Archiviert vom Original am 10. März 2021; abgerufen am 7. Februar 2023 (Fotogallerie).

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