Emotionale Taubheit

Emotionale Taubheit (auch emotionale Erstarrung, emotionales Erstarrungssymptom oder Numbing) bezeichnet in der Psychologie einen emotionalen Erstarrungs- oder Taubheitszustand, charakterisiert durch

  • eingeschränkte Affektivität
  • deutlich vermindertem Interesse an wichtigen Aktivitäten (Anhedonie)
  • distanzierte Teilnahmslosigkeit gegenüber der Umwelt und dem eigenen Leben
  • Verlust positiver Zukunftserwartungen und Sinnperspektive für das eigene Leben.[1][2]

Betroffene erleben dies als innere Leere, emotionale Abstumpfung, Interessen-, Lust- und Freudlosigkeit. Auch kann es zu einem Gefühl der Entfremdung gegenüber Mitmenschen, der Welt und dem eigenen Leben kommen.[1][3][4]

Emotionale Taubheit kann als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung auftreten und grenzt sich von einer Dissoziation dadurch ab, dass Wahrnehmungen oder Erinnerungen nicht völlig ausgeblendet oder verdrängt werden. So betrifft die emotionale Taubheit, wie die erste Komponente des zusammengesetzten Begriffs bereits zum Ausdruck bringt, nicht die Wahrnehmung der äußeren Realität, sondern im Wesentlichen „nur“ die (verminderte oder fehlende) emotionale Reaktion eines Menschen auf diese Wahrnehmung.[2][5]

Als mögliche Erklärung wird ein niedriger Cortisolspiegel (Hypokortisolismus) der Betroffenen diskutiert.[6][7][8]

Emotionale Taubheit kann außer als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung auch u. a. als Symptom bei Dissoziation (insbes. Depersonalisation), Akuter Belastungsreaktion, Depression, als Trauerreaktion und temporär bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung beobachtet werden, ggf. mit anderen Anzeichen wie fehlendem Blickkontakt und leerem Blick, fehlender Mimik, starrem und oft ausdruckslosem Gesichtsausdruck.[2][9][10][11][12][13]

Siehe auch

Literatur

  • H.-U. Wittchen, J. Hoyer (Hrsg.): Klinische Psychologie und Psychotherapie. 2. Auflage. Springer, Heidelberg 2006. ISBN 3-642-13017-8.
  • Jürgen Margraf: Verhaltenstherapie: 2: Störungen des Erwachsenenalters. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-662-10774-4, S. 43 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • James N. Butcher, Susan Mineka, Jill M. Hooley: Klinische Psychologie (Pearson Studium – Psychologie). Pearson Studium, 2009, ISBN 3-8273-7328-X.
  • Kathlen Priebe, Christian Schmahl, Christian Stiglmayr: Dissoziation: Theorie und Therapie. Springer Verlag, Heidelberg 2014, ISBN 3-642-35065-8.
  • Onno van der Hart, Ellert R. S. Nijenhuis, Kathy Steele: Das verfolgte Selbst: Strukturelle Dissoziation. Die Behandlung chronischer Traumatisierung. Junfermann Verlag, Paderborn, 2008, ISBN 978-3-87387-671-2.
  • Michaela Huber: Trauma und die Folgen. Trauma und Traumabehandlung, Teil 1. 5. Auflage. Band 1. Junfermann, Paderborn 2012, ISBN 3-87387-510-1.
  • Bessel A. van der Kolk: Psychische Folgen traumatischer Erlebnisse: Psychologische, biologische und soziale Aspekte von PTSD. Institut für Traumatherapie.

Einzelnachweise

  1. a b Tobias Hecker, Andreas Maercker: Psychotraumatologie. (PDF; 133 kB) In: Ars Medici, 6/2015, S. 325–328.
  2. a b c Michaela Huber: Trauma und die Folgen. Trauma und Traumabehandlung, Teil 1. 5. Auflage. Band 1. Junfermann, Paderborn 2012, ISBN 3-87387-510-1.
  3. Hans-Ulrich Wittchen.: Klinische Psychologie & Psychotherapie. 2., überarb. und erw. Auflage. Springer-Medizin, Heidelberg 2011, ISBN 3-642-13017-8.
  4. Stefan Brunnhuber: Affekt und Symptombildung: Zur Geschichte, Theorie und Systematik der Psychosomatik; Züricher Vorträge. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2001, ISBN 3-8260-2212-2.
  5. Bessel A. van der Kolk: Psychische Folgen traumatischer Erlebnisse: Psychologische, biologische und soziale Aspekte von PTSD. Institut für Traumatherapie
  6. Charlotte A.C. Horn, Robert H. Pietrzak, Stefani Corsi-Travali, Alexander Neumeister: Linking Plasma Cortisol Levels to Phenotypic Heterogeneity of Posttraumatic Stress Symptomatology. In: Psychoneuroendocrinology 2014, January, S. 39, doi:10.1016/j.psyneuen.2013.10.003, PMC 3843152 (freier Volltext) Published online 2013 Oct 14.
  7. Ellert R. S. Nijenhuis, Johan A. den Boer: Psychobiology of Traumatization and Trauma-Related Structural Dissociation of the Personality. (PDF; 547 kB; 30 Seiten) Dissociation and the Dissociative Disorders: DSM-V and Beyond, S. 337–366, hier S. 351, doi:10.4324/9780203893920, 6. November 2008, TAF-RT57850-08-0901-C021.indd
  8. J. W. Mason, S. Wang, R. Yehuda, S. Riney, D. S. Charney, S. M. Southwick: Psychogenic lowering of urinary cortisol levels linked to increased emotional numbing and a shame-depressive syndrome in combat-related posttraumatic stress disorder. (PDF; 212 kB; 15 Seiten) In: Psychosomatic Medicine, 2001, 63, S. 387–401
  9. Kathlen Priebe, Christian Schmahl, Christian Stiglmayr: Dissoziation: Theorie und Therapie. Springer Verlag, Heidelberg 2014, ISBN 3-642-35065-8.
  10. Nicole Schuster: Depersonalisation – Losgelöst von sich selbst. In: PZ Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 06/2018
  11. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung: Chronische Gefühle von Leere, unkontrollierbare Gemütserregungen und zwischenmenschliche Probleme. Psychiater im Netz
  12. Marc Schmid: Über die Dissoziationsneigung traumatisierter Mädchen und Jungen. (PDF) Die Welle, Zentrum für Traumapädagogik, Fachtag Hanau, 9. November 2009, Folie 11
  13. James N. Butcher, Susan Mineka, Jill M. Hooley: Klinische Psychologie (Pearson Studium – Psychologie). Pearson Studium, 2009, ISBN 3-8273-7328-X.