Ekrem İmamoğlu

Ekrem İmamoğlu (2022)

Ekrem İmamoğlu (* 4. Juni 1970 in Akçaabat, Provinz Trabzon) ist ein türkischer Politiker der Republikanischen Volkspartei (CHP). Er wurde am 23. Juni 2019 zum Oberbürgermeister der Großstadtkommune Istanbul gewählt, nachdem das Ergebnis der Wahl vom März 2019, die er bereits gewonnen hatte, von der Regierungspartei AKP angefochten worden war.[1] Zuvor hatten 25 Jahre lang Politiker der AKP das Amt innegehabt.

Aufgrund des historischen Siegs und seiner Beliebtheit gilt er als wichtiger Konkurrent des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan[2] und wurde als Gegenkandidat zu Erdoğan für die Präsidentschaftswahl 2023 gehandelt.[3] Im Falle eines Wahlsieges von Kemal Kılıçdaroğlu wird er als einer der Vizepräsidenten ernannt.[4] Mitte Dezember 2022 wurde İmamoğlu von einem türkischen Gericht „wegen Beleidigung der Wahlkommission“ mit einem von Beobachtern als politisch motiviert eingestuften Politikverbot belegt, das jedoch als erstinstanzliche Entscheidung zunächst nicht wirksam wurde.

Leben und Wirken

Frühe Jahre und Weg in die Politik

İmamoğlu besuchte das Gymnasium in Trabzon und studierte an der Universität Istanbul Betriebswirtschaftslehre (Bachelor) und Personalwesen (Master). Er stieg in die Baufirma seiner Familie ein und wurde 2008 Mitglied der CHP. Bei den Kommunalwahlen 2014 trat er für seine Partei im Istanbuler Stadtbezirk Beylikdüzü an und wurde mit knapp 50 % zum Bürgermeister des Stadtteils gewählt.

Bürgermeisterwahl Istanbul 2019

Bei den Kommunalwahlen 2019 wurde er zum CHP-Kandidaten für den Posten des Oberbürgermeisters von Istanbul nominiert und gewann mit 13.000 Stimmen Vorsprung.[5] Nachdem die in Istanbul unterlegene AKP eine Nachzählung der Stimmen beantragt hatte, wurde er am 17. April 2019 von der türkischen Wahlkommission (YSK) zum Oberbürgermeister der Großstadtkommune Istanbul erklärt.[6] Die AKP legte Beschwerde ein; am 6. Mai 2019 annullierte die Wahlkommission mit einer knappen Mehrheit das Wahlergebnis wegen angeblicher Regelwidrigkeiten.[7][8] Bei der Neuwahl am 23. Juni 2019 vergrößerte er jedoch sogar seinen Vorsprung um knapp 800.000 Stimmen und gewann deutlich gegen Binali Yıldırım (AKP), womit er erneut zum Oberbürgermeister gewählt wurde.[5]

Im Amt des Oberbürgermeisters

Im Wahlkampf zur Oberbürgermeisterwahl 2019 versuchte İmamoğlu das Thema der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu umgehen, zu dem die CHP die Auffassung vertritt, sie sollten schrittweise und sicher zurückgeführt werden. Nachdem es im Juli im Istanbuler Stadtteil Küçükçekmece als Folge falscher Behauptungen zu antisyrischen Ausschreitungen gekommen war, erklärte er, die Interessen des türkischen Volkes müssten geschützt werden. In anderem Zusammenhang warnte er davor, dass die Istanbuler Kultur durch die Zuwanderer verdrängt werde.[9]

Er entließ 1244 der 2500 Beschäftigten der Stadt, die zwischen dem 31. März 2019 und dem 23. Juni 2019 neu eingestellt worden waren. Die Einstellungen waren in dem Zeitraum der landesweiten Kommunalwahlen am 31. März bis zur Oberbürgermeister-Wahlwiederholung in Istanbul vorgenommen worden.[10]

In den ersten drei Monaten im Amt begann İmamoğlu damit, die vorherige Vetternwirtschaft der AKP aufzulösen: Er strich mehreren AKP-nahen religiösen Stiftungen und Vereinen finanzielle Zuwendungen. Zu ihnen gehören die von Präsident Erdoğan gegründete Stiftung TÜRGEV, die Studenten mit Stipendien und Wohnheimplätzen unterstützt, die Bildungsstiftung TÜGVA, deren Beirat Erdoğans Sohn Bilal angehört, sowie die Aziz-Mahmud-Hüdayi-Stiftung unter Leitung des Bruders von Kadir Topbaş, dem langjährigen AKP-Oberbürgermeister der Stadt. Außerdem kündigte er Leasingverträge für Dienstwagen, die AKP-nahen Personen unrechtsmäßig sowie zur privaten Nutzung überlassen oder von AKP-nahen Unternehmen zu höheren Preisen als üblich vermietet worden sein sollen. Die Stadt sparte dadurch rund acht Millionen Euro im Jahr.[11]

Unter dem Titel Istanbul senin (etwa: „Istanbul gehört dir“) veröffentlichte die Kommune unter İmamoğlu eine Website, auf der die Bürger ihre Meinung beispielsweise zur Gestaltung der Stadt äußern können.[12][13] Am 12. Februar 2020 wurde zudem ein neues Planungsbüro gegründet. Die Gründungsveranstaltung hatte den Titel Ein neuer Anfang für die lokale Demokratie.[14] Im Zuge dessen rief er auch eine Webseite ins Leben, auf der Pläne von Architekten zur Neugestaltung des Gezi-Parks vorgestellt wurden und die Bürger Istanbuls sich dazu äußern konnten, welchen Plan sie favorisierten. Präsident Erdoğan ließ daraufhin die Rechte am Park an eine bis dahin unbekannte Stiftung übertragen.[15]

İmamoğlu bemühte sich um eine Reinigung des Bosporus (Goldenes Horn) von Wasserverschmutzung, wodurch wieder mehr Delfine gesichtet wurden.[16] Zudem wurden der Erdbebenschutz verbessert[17] und zahlreiche soziale Projekte, wie ein Ausbau von Kindergärten,[18] eine bessere Wasserversorgung,[19] Hilfsprojekte für Mütter[20] und vergünstigte Studententickets[21] auf den Weg gebracht.

Im November 2019 wurde İmamoğlu mit dem Deutsch-Türkischen Freundschaftspreis ausgezeichnet.[22]

Während der Bosporus-Universität-Proteste 2021 solidarisierte er sich mit den Demonstranten.[23] İmamoğlu wurden im Dezember 2021 vom türkischen Innenminister Süleyman Soylu (AKP) ohne Belege Verbindungen zur kurdischen Untergrundorganisation PKK vorgeworfen;[24] angeblich habe er seit der Amtsübernahme 2019 der Istanbuler Großstadtkommune als Oberbürgermeister über 400 Unterstützer bzw. Mitglieder der PKK und anderer linksextremistischen Gruppen in der Großstadtkommune eingestellt. İmamoğlu wies den Vorwurf zurück und stellte klar, dass alle Bewerber der Großstadtkommune „eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Justizministeriums vorweisen“ müssten.[25]

Mitte Dezember 2022 wurde İmamoğlu von einem türkischen Gericht „wegen Beleidigung der Wahlkommission“ mit einem Politikverbot belegt. Das Gericht verurteilte İmamoğlu außerdem zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.[26] Das Urteil gegen İmamoğlu wurde von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch als politisch motiviert beurteilt.[27] Es war zunächst noch nicht rechtskräftig und verhinderte somit nicht die weitere Ausübung seines Amtes und sonstige politische Betätigung. Die zu erwartende Dauer für den Gang durch die Instanzen wurde in einem Bericht der Friedrich-Naumann-Stiftung auf drei bis vier Jahre geschätzt, womit ein Inkrafttreten des Politikverbots bis zur Präsidentschaftswahl im Mai 2023 unwahrscheinlich, wenngleich angesichts der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz nicht unmöglich erscheine.[28]

Nach dem Erdbeben im südlichen Teil der Türkei und Syrien im Februar 2023 mit mehr als 45.000 Toten nutzte İmamoğlu menschliche und technische Ressourcen der Stadt Istanbul, die er als Katastrophenhilfe in die Erdbebenregion schickte.[29]

Familie

İmamoğlu ist verheiratet mit Dilek İmamoğlu, sie haben drei gemeinsame Kinder.[30][31]

Weblinks

Commons: Ekrem İmamoğlu – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wahlsieger Imamoglu zum Bürgermeister erklärt, spiegel.de, erschienen am 23. Juni 2019.
  2. Istanbuls Bürgermeister zu Politikverbot und Haft verurteilt. In: Zeit Online. 14. Dezember 2022, abgerufen am 14. Dezember 2022.
  3. Analysis: Turkey's elections show Erdogan's power is finally waning – and a new political star is born in Istanbul. In: The Independent. 1. April 2019, abgerufen am 1. April 2019 (englisch).
  4. Ali Kucukgocmen, Orhan Coskun: Turkey's opposition names Kilicdaroglu to take on Erdogan in election. In: Reuters. 6. März 2023 (reuters.com [abgerufen am 19. März 2023]).
  5. a b Blow for Erdogan in re-run Istanbul poll. 24. Juni 2019 (bbc.com [abgerufen am 24. Juni 2019]).
  6. Neuer Bürgermeister in Istanbul: Oppositionskandidat Imamoglu zum Sieger erklärt. In: Spiegel Online. 17. April 2019, abgerufen am 17. April 2019.
  7. Istanbuls Bürgermeister spricht von Verrat. In: Spiegel Online. 7. Mai 2016.
  8. Türkische Wahlbehörde ordnet Neuwahl für Istanbul an. In: Spiegel Online. 6. Mai 2019.
  9. Anna-Sophie Schneider: Hetze gegen „Gäste“, Spiegel Online, 13. Juli 2019, abgerufen am 1. Januar 2020.
  10. Philipp Mattheis: Millionen für Erdoğans Freunde und Verwandte, DerStandard.at, 2. September 2019, abgerufen am 1. Januar 2020.
  11. Anna-Sophie Schneider: Mit dem Rotstift gegen Erdogan, Spiegel Online, 12. September 2019, abgerufen am 1. Januar 2020.
  12. İmamoğlu: Allah, bu şehri ‘İstanbul benim’ diyenlerden korusun. Abgerufen am 13. Februar 2020 (türkisch).
  13. İstanbul Senin | Geleceğine Birlikte Karar Verelim. İstanbul Senin! Abgerufen am 13. Februar 2020 (türkisch).
  14. YEREL DEMOKRASİ İÇİN YENİ BİR BAŞLANGIÇ. Abgerufen am 13. Februar 2020.
  15. tagesschau.de: Ekrem Imamoglu: Nadelstiche gegen Istanbuls Bürgermeister. Abgerufen am 7. Mai 2021.
  16. Ekrem İmamoğlu: 'The Mud of the Golden Horn Will Be Dried, Water Will Flow From the 3rd Ahmet Fountain'. In: Railly News. 17. Mai 2020, abgerufen am 24. Oktober 2021 (englisch).
  17. Ekrem İmamoğlu drew attention to the danger that awaits Istanbul. In: Livik. 17. August 2021, abgerufen am 24. Oktober 2021 (englisch).
  18. İBB will increase the number of nurseries in Istanbul to 11 with 31 new facilities to be opened. In: Railly News. 21. Juni 2021, abgerufen am 24. Oktober 2021 (englisch).
  19. Istanbul municipality approves water price cuts. In: Hürriyet Daily News. Abgerufen am 24. Oktober 2021 (englisch).
  20. Aid Campaigns in Istanbul Grow with Philanthropists. In: Railly News. 31. Januar 2021, abgerufen am 24. Oktober 2021 (englisch).
  21. Monthly student transport card fees dropped from 85 TL to 50 TL in Istanbul. In: Twitter, Ekrem Imamoglu (International). (englisch).
  22. I Received the Kybele German-Turkish Friendship Award. In: Ekrem İmamoğlu Official Website. Abgerufen am 3. August 2022 (englisch).
  23. NEX24: Erdogan zu den Uni-Demos: „Dahinter stecken Terroristen“. In: nex24.news. 8. Januar 2021, abgerufen am 10. Januar 2021.
  24. Susanne Güsten: Erdogan droht Bürgermeistern von Ankara und Istanbul. In: Der Tagesspiegel Online. 13. Januar 2022, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 13. Januar 2022]).
  25. Jürgen Gottschlich: Präsident Erdoğan holt zum Schlag gegen Istanbuls Bürgermeister aus. In: derStandard.at. 29. Dezember 2021, abgerufen am 19. März 2022.
  26. Politikverbot und Haftstrafe für Imamoglu. In: tagesschau.de. 14. Dezember 2022, abgerufen am 14. Dezember 2022.
  27. Istanbuler Bürgermeister und Erdoğan-Gegner Human Rights Watch kritisiert Urteil gegen İmamoğlu scharf. In: spiegel.de. 15. Dezember 2022, abgerufen am 31. Januar 2023.
  28. Beate Apelt: Türkei: Ekrem Imamoğlu – ein verhinderter Kandidat? Friedrich-Naumann-Stiftung, 26. Januar 2023, abgerufen am 22. Februar 2023.
  29. Şebnem Arsu, Steffen Lüdke, Maximilian Popp, Özlem Topçu: Folgen der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien: Risse im Staat Erdoğan. In: Der Spiegel. Nr. 8/2023, 17. Februar 2023 (online [abgerufen am 19. Februar 2023]).
  30. Ekrem İmamoğlu’nun hayatı… Ekrem İmamoğlu kimdir, nereli ve kaç yaşında? In: sozcu.com.tr. 18. Dezember 2018, abgerufen am 1. April 2019 (türkisch).
  31. Ekrem İmamoğlu kimdir? (CHP'nin İstanbul belediye başkan adayı). In: ntv.com.tr. 18. Dezember 2018, abgerufen am 1. April 2019 (türkisch).

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Ekrem İmamoğlu, June 8, 2022