Deutsches Turnfest

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Internationales Deutsches Turnfest 2017 in Berlin

Das Deutsche Turnfest (seit 2005 Internationales Deutsches Turnfest) ist eine Serie von Zusammenkünften von Turnern, überwiegend aus Deutschland. Erstmalig abgehalten wurde das Turnfest 1860. Organisator der Zusammenkünfte ist der Deutsche Turner-Bund.

Geschichte

1860–1990

Das erste Deutsche Turnfest wurde 1860 in Coburg abgehalten. 1861 fand das zweite Deutsche Turnfest in Berlin statt. Anlass war die Errichtung des ersten deutschen Turnplatzes 50 Jahre vorher und die Grundsteinlegung für das Jahndenkmal in der Hasenheide. Die Turnfeste hatten nicht nur einen sportlichen Hintergrund. Im Sinne Turnvater Jahns sollten alle Turner immer nach der Einheit Deutschlands streben. In diesem Sinne war das Deutsche Turnfest auch eine politische Veranstaltung, dieser Aspekt verlor jedoch nach dem Erreichen des Ziels durch die Reichsgründung 1871 an Bedeutung.

Festplatz des 3. Allgemeinen Deutschen Turnfestes 1863 in Leipzig

In der Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) dienten die Deutschen Turnfeste vor allem der politischen Propaganda. 1933 war zunächst der Demokrat Alexander Dominicus als Vorsitzender der Deutschen Turnerschaft (DT) zurückgetreten, die als Dachorganisation für die Ausrichtung der Deutschen Turnfeste fungierte. Daraufhin ernannte sich Edmund Neuendorff zum neuen Führer der DT. Neuendorff versicherte Adolf Hitler in einem Brief vom 16. Mai 1933, „dass die Deutsche Turnerschaft sich unter ihrer Führung Seite an Seite neben SA und Stahlhelm stellt“.[1] Kurz zuvor war von der Hauptausschusssitzung der DT am 8./9. April 1933 ohne Druck seitens der Nationalsozialisten für die Umsetzung bis zum Deutschen Turnfest in Stuttgart im Sommer desselben Jahres beschlossen worden, auf nationalsozialistischen Kurs zu gehen. Eingeführt wurden das Wehrturnen und das Führerprinzip sowie Ausschlüsse, etwa gegen Arbeiter, die in linken Verbünden organisiert waren, ebenso wie explizit rassistisch motivierte Ausschlussmaßnahmen, mit dem Ziel der „Vollarisierung“ (sog. Arierparagraph).[2]

Beim Deutschen Turnfest in Breslau 1938 wurde der Einmarsch der Wehrmacht in die Tschechoslowakei PR-wirksam vorbereitet, indem das Propagandaministerium ohne Kenntnis der Öffentlichkeit die Teilnahme von ca. 27.000 Sudetendeutschen mit 1,3 Millionen Reichsmark finanzierte. Als „auslandsdeutsche“ Frauen und Männer, die Hitler ergeben waren, wurde ihre Anwesenheit in die Dramaturgie des Deutschen Turnfestes eingeplant, indem speziell sie als Landsmannschaft medienwirksam in den Fokus gebracht wurden.[3]

Über die Rolle der Deutschen Turnerschaft (DT) und ihr Verhalten vor und während des Deutschen Turnfestes in Stuttgart 1933 wurde Anfang der 1970er Jahre in der Zeitschrift Deutsches Turnen (DT) eine Debatte geführt. Nach der Auffassung von Joseph Göhler, dem früheren Pressewart und stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Turner-Bundes,[4] haben sich die Anhänger der Deutschen Turnerschaft 1933 neutral verhalten.[5] Dem widersprach daraufhin in derselben Zeitschrift Hajo Bernett[6], der sich 1971 in seiner Studie zur Sportpolitik im Dritten Reich kritisch zur Rolle des DT 1933 geäußert hatte.[7]

1990-Gegenwart

Seit dem Turnfest in Berlin 2005 trägt die Großveranstaltung den Titel „Internationales Deutsches Turnfest“ (IDTF), womit deutlich gemacht werden soll, dass auch Teilnehmer aus anderen Ländern zugelassen sind. Das Turnfest 2021 in Leipzig wurde im Spätjahr 2020 aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie abgesagt. Anstelle dessen soll mit „Turnen21“ eine kleinere Multisport-Veranstaltung stattfinden.[8]

Austragungs-Turnus

Von 1898 bis 1983 veranstalteten die Deutsche Turnerschaft und der DTB ihre Feste im Fünf-Jahres-Zyklus, nämlich in den Jahren, die auf drei und acht endeten (außer während der Weltkriege). 1987 wurde das Turnfest für die 750-Jahr-Feier Berlins vorverlegt. Die Veranstaltungen des Arbeiter-Turn- und Sportbundes sowie des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR fanden währenddessen in unregelmäßigen Abständen statt. 1990 stellte der DTB auf einen Vier-Jahres-Rhythmus um. Das turnusmäßig für 2006 vorgesehene Fest in Berlin wurde jedoch mit Rücksicht auf die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land um ein Jahr vorverlegt. Seitdem soll es wieder alle vier Jahre stattfinden.

Veranstaltungen

Leipzig Deutsches Turnfest, 1913
Deutsches Turnfest, 1923
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Deutsches Turnfest, 1928
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Eröffnung des Deutschen Turnfestes in Breslau 1938 durch Innenminister Frick und Reichssportführer von Tschammer
Der Mannheimer Friedrichsplatz beim Turnfest 2013
Nr.JahrDatumOrtUrsprüngliche BezeichnungVerband
1.186016.–19. JuniCoburg1. Deutsches Turn- und Jugendfest
2.186110.–12. AugustBerlin2. Deutsches Turn- und Jubelfest
3.18631.–5. AugustLeipzig3. Allgemeines Deutsches Turnfest
1866Nürnberg(ausgefallen aufgrund des Deutschen Krieges)
4.18723.–6. AugustBonnIV. Allgemeines Deutsches TurnfestDT
1878Breslau(ausgefallen aufgrund eines Attentats auf den Kaiser)DT
5.188024.–28. JuliFrankfurt am MainV. Deutsches TurnfestDT
6.188518.–21. JuliDresdenVI. Deutsches TurnfestDT
7.188927.–31. JuliMünchenVII. Deutsches TurnfestDT
8.189421.–25. JuliBreslauVIII. Allgemeines Deutsches TurnfestDT
9.189823.–27. JuliHamburgIX. Deutsches TurnfestDT
10.190318.–23. JuliNürnberg10. Deutsches TurnfestDT
11.190818.–23. JuliFrankfurt am Main11. Deutsches TurnfestDT
12.191312.–16. JuliLeipzig12. Deutsches TurnfestDT
1918Stuttgart(ausgefallen aufgrund des Ersten Weltkrieges)
13.192222.–25. JuliLeipzig1. Deutsches Arbeiter-Turn- und SportfestATSB
14.192314.–18. JuliMünchen13. Deutsches TurnfestDT
15.192825.–30. JuliKöln14. Deutsches TurnfestDT
16.192918.–21. JuliNürnberg2. Deutsches Arbeiter-Turn- und SportfestATSB
17.193326.–31. JuliStuttgart15. Deutsches TurnfestDT
18.193827.–31. JuliBreslauDeutsches Turn- und SportfestDRL
1943(ausgefallen aufgrund des Zweiten Weltkrieges)
194713.–14. SeptemberNortheim1. inoffizielle Deutsche Meisterschaft im Kunstturnen
19.194819.–23. AugustFrankfurt am MainFrankfurter TurnfestDAT
20.19532.–9. AugustHamburgDeutsches TurnfestDTB
21.195418.–22. AugustLeipzigI. Deutsches Turn- und SportfestDSA
22.19562.–5. AugustLeipzigII. Deutsches Turn- und SportfestDSA
23.195820.–28. JuliMünchenDeutsches TurnfestDTB
24.195913.–16. AugustLeipzigIII. Deutsches Turn- und SportfestDTSB
25.196315.–21. JuliEssenDeutsches TurnfestDTB
26.19631.–4. AugustLeipzigIV. Deutsches Turn- und Sportfest der DDRDTSB
27.196828. Mai – 2. JuniBerlinDeutsches TurnfestDTB
28.196924.–27. JuliLeipzigV. Deutsches Turn- und Sportfest der DDRDTSB
29.197312.–17. JuniStuttgartDeutsches TurnfestDTB
30.197725.–31. JuliLeipzigVI. Turn- und Sportfest der DDRDTSB
31.197830. Juli – 5. AugustHannoverDeutsches TurnfestDTB
32.198326. Juni – 3. JuliFrankfurt am MainDeutsches TurnfestDTB
33.198325.–31. JuliLeipzigVII. Turn- und Sportfest der DDRDTSB
34.198731. Mai – 7. JuniBerlinDeutsches TurnfestDTB
35.198727. Juli – 2. AugustLeipzigVIII. Turn- und Sportfest der DDRDTSB
36.199027. Mai – 3. JuniDortmund/BochumDeutsches TurnfestDTB
37.199415.–22. MaiHamburgDeutsches TurnfestDTB
38.199831. Mai – 7. JuniMünchenDeutsches TurnfestDTB
39.200218.–25. MaiLeipzigDeutsches TurnfestDTB
40.200514.–21. MaiBerlinInternationales Deutsches TurnfestDTB
41.200930. Mai – 5. JuniFrankfurt am MainInternationales Deutsches TurnfestDTB
42.201318.–25. MaiMetropolregion Rhein-NeckarInternationales Deutsches TurnfestDTB
43.20173.–10. JuniBerlinInternationales Deutsches TurnfestDTB
202112.–16. MaiLeipzig(Absage aufgrund der Covid-19-Pandemie)DTB
44.202528. Mai – 1. JuniLeipzigInternationales Deutsches TurnfestDTB
Abkürzungen
ATSBArbeiter-Turn- und Sportbund (Deutsches Reich)
DATDeutscher Arbeitsausschuß Turnen
DRLDeutscher Reichsbund für Leibesübungen (Deutsches Reich)
DSADeutscher Sportausschuß (DDR)
DTDeutsche Turnerschaft (Deutsches Reich)
DTBDeutscher Turner-Bund
DTSBDeutscher Turn- und Sportbund (DDR)

Teilnehmerzahlen

JahrTeilnehmerTurner insgesamt (DT)
186097030.000
18614.000100.000
186320.000170.000
18723.500130.000
18809.798170.000
188519.803270.000
188919.902370.000
189411.500490.000
189826.400600.000
190330.000760.000
190855.000848.000
191362.5721.123.000
1923197.5101.337.000

Bis 1913 nahmen ausschließlich männliche Turner teil.

JahrTeilnehmerdavon Aktive
194830.000
195360.00020.000
195840.00031.310
196340.00030.000
196868.000
197375.000
197860.000
198365.000
1987120.000
1990100.000
1994100.000
1998100.000
2002über 80.000
2005über 100.000
200985.000
201350.000
2017über 80.000

Veröffentlichung der Zahlen durch Deutschen Turner-Bund.

Literatur

  • Michael Krüger: Das Deutsche Turnfest 1933 in Stuttgart. In: Alltags- und regionalhistorische Studien zum Turnen und Sport: Referate zur Frühjahrstagung der dvs-Sektion Sportgeschichte vom 22. bis 25. März 1988 in Freiburg. 1989, S. 111–117.
  • Liste des DTB (über WayBack) (Memento vom 18. Juli 2011 im Internet Archive) (MS Word; 40 kB).
  • Herbert Neumann (Hrsg.): Deutsche Turnfeste : Spiegelbild der deutschen Turnbewegung. / hrsg. vom Deutschen Turner-Bund [Mit Beitr. von Lutz Alefsen u. a.], Bad Homburg 1985, ISBN 3-7853-1444-2.
  • Oliver Ohmann: Turnvater Jahn und die Deutschen Turnfeste. Sutton, Erfurt 2008, ISBN 978-3-86680-264-3.
  • Rudolf Gasch (Hrsg.): Handbuch des gesamten Turnwesens / und der verwandten Leibesübungen. Wien u. Leipzig (Verlag von A. Pilchers Witwe & Sohn), 1928.
  • Festzeitung für das Deutsche Turnfest. – 1889; 1894; 1898; 1903; 1908; 1913. Digitalisierte Ausgaben der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf.

Weblinks

Commons: Deutsches Turnfest – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Zitiert bei Michael Krüger. Erinnerungskultur im Sport: Vom kritischen Umgang mit Carl Diem, Sepp Herberger und anderen Größen des deutschen Sports. (Voransicht) Münster: LIT-Verlag, 2012, S. 201. ISBN 978-3-643-11677-2.
  2. Michael Krüger. Das Deutsche Turnfest 1933 in Stuttgart. In: Alltags- und regionalhistorische Studien zum Turnen und Sport: Referate zur Frühjahrstagung der dvs-Sektion Sportgeschichte vom 22. bis 25. März 1988 in Freiburg. 1989, S. 101–117. Siehe speziell im Abschnitt 1.3.: Das Turnfest im Sog der politischen Ereignisse, S. 108.
  3. Hans Joachim Teichler. Internationale Sportpolitik. Schorndorf: Hofmann, 1991, S. 133–135 und S. 210–213, sowie Hartmut Lissinna. Nationale Sportfeste. Mannheim: Palatium-Verlag, 1997, S. 398.
  4. Michael Krüger. Das Deutsche Turnfest 1933 in Stuttgart. In: Alltags- und regionalhistorische Studien zum Turnen und Sport: Referate zur Frühjahrstagung der dvs-Sektion Sportgeschichte vom 22. bis 25. März 1988 in Freiburg. 1989, S. 101, Fußnote 1.
  5. Joseph Göhler. Gegen Geschichtsklitterung. Wie war das mit dem Turnen 1933? Deutsches Turnen (DT) 16 (1973), S. 335.
  6. Hajo Bernett. Stuttgart 1933 – Und kein Ende? Deutsches Turnen (DT) 21 (1973), S. 453.
  7. Hajo Bernett. Sportpolitik im Dritten Reich: aus den Akten der Reichskanzlei. Schorndorf bei Stuttgart: Hofmann, 1971.
  8. Turnfest 2021 in Leipzig abgesagt. Deutscher Turner-Bund, 21. Oktober 2020, abgerufen am 3. Dezember 2020.

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Die feierliche Eröffnung des Deutschen Turn- und Sportfestes.

UBz: Am Schlusse seiner Eröffnungsansprache übergibt der Schirmherr des Festes, Reichinnenminister Dr. Frick dem Reichssportführer Staatssekretär von Tschammer und Osten im Auftrag des Führers das neue Banner des Reichsbundes für Leibesübungen, das den Adler von Goldlorbeer umgeben im roten Felde zeigt.

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Turnfestgala II des Internationalen Deutschen Turnfest 2017 in Berlin am 05. Juni in der Mercedes-Benz-Arena
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Das XIV. große deutsche Turnfest in Köln/Rh., Massenfreiübungen von 30.000 Turnern auf der Jahnwiese in Köln. Aufnahmen unseres nach Köln entsandten Sonder-Bild-Bereichterstatters! Blick auf das ungeheure Feld von 30.000 Turnern während der Freiübungen.
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