Carrosserie Graber

Die Carrosserie Graber war ein in Wichtrach (Kanton Bern) ansässiger Schweizer Hersteller von Automobilkarosserien, der zwischen 1926 und 1970 zahlreiche Sonderaufbauten für europäische und amerikanische Fahrgestelle entwarf und produzierte. Einige von Grabers Kreationen gewannen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg Schönheitspreise. Das Unternehmen war bekannt für seine zurückhaltenden, aber gleichwohl eleganten Karosserieentwürfe, die seit den 1950er Jahren konsequent der sogenannten Pontonform folgten und entgegen dem Trend der Zeit weitgehend auf dekorative Details und Ornamente verzichteten.[1] Eine besondere Verbindung bestand zu dem britischen Luxuswagenhersteller Alvis, dessen Fahrgestelle Graber über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahrzehnten einkleidete.

Unternehmensgeschichte

Von Graber entworfen: Die Werkskarosserie des Alvis TE 21
Sonderaufbau von Graber für den Alvis TE21
Ein Alvis TF 21 mit Graber-Karosserie

Die Carrosserie Graber geht auf eine Stellmacherei in Wichtrach zurück. 1925 übernahm Hermann Graber, der 1904 geborene Sohn des bisherigen Inhabers, den Betrieb und verlagerte die Tätigkeit schnell auf die Herstellung von Automobilkarosserien.

Bereits 1926 entstand das erste Fahrzeug mit Graber-Karosserie: ein zweisitziges Cabriolet auf der Basis eines Fiat 509. Zu dieser Zeit liess Graber ein Scharniersystem patentieren mit welcher sich Fahrzeugtüren wahlweise nach links oder nach rechts öffnen ließen. Dementsprechend hatten diese Ausführungen auch zwei Türgriffe außen. 1929 gewann ein von Graber karossierter Panhard & Levassor 20 CV den Concours d’Elegance in St. Moritz. Dieser Erfolg trug zu Grabers europaweiter Bekanntheit bei. In den 1930er Jahren stellte das Unternehmen zahlreiche Sonderkarosserien für Fahrgestelle von Alfa Romeo, Bentley, Bugatti, Duesenberg und Packard her.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich Graber zunehmend auf britische Fahrgestelle. Zahlreiche Einzelstücke entstanden auf der Basis von Lagonda, Rolls-Royce und Rover; für Bentley entstanden insgesamt 35 Graber-Aufbauten, davon allein 12 für den Bentley Mark VI.[2]

1948 übernahm Graber die Schweizer Generalvertretung der britischen Luxusmarke Alvis. Zwei Jahre später stellte Graber im Kundenauftrag erstmals eine eigene Karosserie für ein Alvis-Chassis her; ihr folgten zahlreiche weitere Einzelstücke auf Alvis-Basis.

In den 1950er-Jahren intensivierte sich die Verbindung von Graber und Alvis. Nachdem der langjährige Alvis-Designer G.T. Smith-Clarke das Unternehmen verlassen hatte, gestaltete Hermann Graber die Werkskarosserie des 1955 vorgestellten Alvis TC 108/G.[3] Anfänglich entstanden die Werkskarosserien bei Willowbrook, später bei Park Ward bzw. Mulliner Park Ward in Lizenz.[4][5] Einige Details wurden allerdings von Alvis bzw. den Karosserieherstellern überarbeitet.[6] Alle Werkskarosserien der T-Serie bis hin zum letzten Modell, dem TF 21, folgten Grabers Entwürfen. Daneben stattete Graber weiterhin regelmäßig Alvis-Chassis im Kundenauftrag mit selbst entworfenen Sonderkarosserien aus, von denen jährlich weniger als zehn Exemplare entstanden. Graber schuf dabei zweitürige Coupés – im englischen Sprachgebrauch Saloons –, Cabriolets und vier viertürige Limousinen, von denen drei noch existieren. Grabers Karosserien waren niedriger als die Werksaufbauten und hatten zumeist stärker geneigte A- und C-Säulen. Ein besonderes Merkmal von Grabers individuellen Entwürfen waren sehr dünne C-Säulen. Neben dem Aufbau überarbeitete Graber auf Wunsch auch das Fahrwerk der von ihm karossierten Autos.[7]

Hermann Graber starb 1970. Mit seinem Tod endete die Produktion von Sonderaufbauten in Wichtrach. Insgesamt waren etwa 800 Fahrzeuge bei Graber entstanden. Das Unternehmen blieb als Karosseriereparaturbetrieb bestehen. Von 1980 bis 1996 war die Graber Sportgarage ein offizieller Ferrari-Importeur. 2001 wurde der Betrieb von einem bekannten Schweizer Oldtimer-Restaurator übernommen und nach Toffen verlagert.[8]

Galerie: Von Graber karossierte Fahrzeuge

Literatur

  • Emil Bohnenblust: Hermann Graber war der ungekrönte König der Schweizer Karosseriebauer. In: DrachePost Nr. 4, Juni 2005, S. 12 f.
  • Kevin Brazendale: Enzyklopädie Automobil von Alfa Romeo bis Zagato. Die 600 schönsten Modelle. Weltbild, Augsburg 2000. ISBN 3-8289-5384-0.
  • Dieter Günther: Swiss Connection. Modellgeschichte der Alvis TC21 bis TF21 in: Oldtimer Markt, Sonderheft 14 – Luxus, Leistung und vier Sitze. Gran Tourismo: Die großen Reisecoupés
  • Rainer W. Schlegelmich, Hartmut Lehbrink: Englische Sportwagen. Köln (Könemann) 2001, ISBN 3-8290-7449-2.
  • Halwart Schrader, David Lillywhite: Klassische Automobile. Stuttgart (Motorbuch Verlag) 2005. ISBN 3-613-02552-3.

Weblinks

Commons: Carrosserie Graber – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ein deutscher Motorjournalist nannte einen 1955 vorgestellten Alvis mit Graber-Karosserie beispielsweise „den klarsten und modernsten englischen Wagen“; zitiert nach Oldtimer Markt, Sonderheft 14, S. 16.
  2. conceptcarz.com: Bentley Mark VI Cabriolet Graber #B136H (1947)
  3. Brazendale: Enzyklopädie Automobil, S. 26, 28.
  4. Schlegelmilch, Lehbrink: Englische Sportwagen, S. 23.
  5. Schrader, Lillywhite, S. 36.
  6. Darstellung der Modellgeschichte auf der Internetseite des Alvis Owners Club (Memento des Originals vom 16. Juni 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.alvisoc.org (abgerufen am 3. Juni 2011).
  7. Oldtimer Markt, Sonderheft 14, S. 16.
  8. Überblick über die Unternehmensgeschichte auf der Internetseite www.coachbuild.com (abgerufen am 3. Juni 2011).

Auf dieser Seite verwendete Medien

Bentley S1-Convertible-Graber.JPG
Bentley S1 Covertible, coachbuilding by Hermann Graber

Event:Concorso d’Eleganza”Villa d’Este” 2008
Place/Country: Cernobbio (CO), Italy

I release all rights in the public domain.
Lancia Aprilia Graber 1941.jpg
Autor/Urheber: Giorgio Brida, Lizenz: CC BY 2.0
Lancia Aprilia Trasformabile 4 posti del 1941, realizzata dalla "Carosserie Graber" di Wichtrach, su autotelaio Aprilia 2ª serie tipo "439", con motore tipo "99". Probabilmente è l'unico esemplare costruito da Hermann Graber.
1967 Graber Alvis front.jpg
Autor/Urheber: Rex Gray
Cropped, plate blurred, signature removed by Mr.choppers, Lizenz: CC BY-SA 2.0
Alvis Super Coupé by Graber, at the Third Annual Desert Classic Concours d'Elegance, Feb 28 2010. Chassis number 27474, this is the last Graber-bodied coupé Alvis. Still with the family of the original owner in California.
Delahaye 135-M Graber.JPG

Subject:Delahaye 135M (1948), bodied by Hermann Graber
Date:April 27th, 2008
Event:Concorso d’Eleganza”Villa d’Este” 2008
Place/Country: Cernobbio (CO), Italy

I release all rights in the public domain.
Talbot Lago T26 Record Cabriolet Graber 1946-1952 frontleft 2009-09-13 A.jpg
Autor/Urheber: Detectandpreserve, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Talbot Lago T26 Record Cabriolet, coachwork by Graber, 1946-1952, seen at "Kö Classics 2009" in Duesseldorf, Germany
Alvis 1965 TE21 Saloon.jpg
Autor/Urheber: Tony Hisgett from Birmingham, UK, Lizenz: CC BY 2.0
Alvis 1965 TE21 Saloon
Talbot-Lago T120 Graber (1936) Classic-Gala 2021 1X7A0040.jpg
Autor/Urheber: Alexander Migl, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Talbot-Lago_T120_Graber_(1936) at Classic-Gala 2021
TE21-Graber-1.jpg
Autor/Urheber: Matthias v.d. Elbe, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Alvis TE 21, Body by Carrosserie Graber, exposed at the Heritage Motor Centre, Gaydon, Warwickshire (UK)
Lagonda 3-litre Convertible DHC Tickford Mk I (1954) Classic-Gala 2021 1X7A0164.jpg
Autor/Urheber: Alexander Migl, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Lagonda_3-litre_Convertible_DHC_Tickford_Mk_I_(1954) at Classic-Gala 2021
1967 Graber Alvis rear.jpg
Autor/Urheber: Rex Gray
Cropped, plate blurred by Mr.choppers, Lizenz: CC BY-SA 2.0
Alvis Super Coupé by Graber, at the Third Annual Desert Classic Concours d'Elegance, Feb 28 2010. Chassis number 27474, this is the last Graber-bodied coupé Alvis. Still with the family of the original owner in California.