Arbeitsrecht (Deutschland)

Das deutsche Arbeitsrecht ist ein Rechtsgebiet, das die Rechtsbeziehungen zwischen einzelnen Arbeitnehmern und Arbeitgebern (Individualarbeitsrecht) sowie zwischen den Koalitionen und Vertretungsorganen der Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber (Kollektives Arbeitsrecht) regelt.

Geschichte

Die Arbeit ist bereits seit dem Altertum Gegenstand rechtlicher Regelungen. Im römischen Recht hatte der Dienstvertrag (locatio conductio operarum) jedoch aufgrund der weiter verbreiteten Sklaven­arbeit nur eine untergeordnete Rolle. Im Deutschland des Mittelalters tragen Dienstverhältnisse oft personalrechtliche Züge. Obgleich es in bestimmten Gebieten bereits eine echte Kapitalisierung der Arbeit gibt, wird heute die Verbreitung der kapitalistischen Verdinglichung der Arbeit ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als der Beginn der Arbeitsrechtsgeschichte angesehen. Die sozialen Missstände der Industrialisierung im 19. Jahrhundert waren Folge der Privatautonomie trotz Ungleichgewichtigkeit der Macht der Vertragspartner.[1] Das erkennend entwickelte sich zum Beispiel der Jugendarbeitsschutz, das Verbot der Kinderarbeit und das Sozialversicherungsrecht, sowie die Abkehr vom Koalitionsverbot (1869). Dieser Entwicklung trug das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1896 jedoch nicht Rechnung, der Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB wird dort als normaler Austauschvertrag mit weitgehender Privatautonomie geregelt, der personenrechtliche Einschlag des Arbeitsverhältnisses wurde nicht anerkannt.

Mit dem Stinnes-Legien-Abkommen wurden im November 1918 die Weichen für die weitere Entwicklung der Arbeitsverfassung gestellt. Um eine nach dem Rätesystem gegründete sozialistische Republik zu verhindern, waren die Unternehmer zur Anerkennung der Gewerkschaften bereit. § 1 des Abkommens regelte den Vorrang des Tarifvertrags vor dem einzelnen Arbeitsvertrag.[2]

In der Zeit der Weimarer Republik entstanden weitere Arbeitsschutzgesetze und einige entscheidende Weiterentwicklungen des kollektiven Arbeitsrechts, wie die verfassungsmäßig garantierte Koalitionsfreiheit (Art. 159 Weimarer Verfassung). Um „die revolutionären Tendenzen der Rätebewegung aufzufangen“,[3] wurde in die Verfassung ein Räteartikel (Art. 165) aufgenommen. Er sah „ein dreistufiges Rätesystem vor, dessen Basis die Betriebsräte bilden sollten. Dadurch war die Rätebewegung, die unter dem Schlagwort 'Alle Macht den Räten' die politische und wirtschaftliche Macht im Staat gefordert hatte, in eine wirtschaftliche Interessenvertretung umgewandelt und in die Wirtschaftsverfassung eingebaut worden. Da den Gewerkschaften aber die Kompetenz zur Vereinbarung der Lohn- und Arbeitsbedingungen verfassungsrechtlich garantiert wurde, waren die Arbeiterräte in einem Kernbereich des Arbeitsrechts an den Rand gedrängt. Von dem dreistufigen Rätesystem wurde außerdem nur die unterste Stufe durch das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 verwirklicht.“[3]

1926 wurde die Arbeitsgerichtsbarkeit als neuer Instanzenzug eingerichtet (Arbeitsgerichtsgesetz).

Während der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) wurde das kollektive Arbeitsrecht wegen Unvereinbarkeit mit dem Führerprinzip abgeschafft, das Arbeitsvertrags- und Arbeitsschutzrecht jedoch weiter ausgebaut. 1934 wurde das von Hans Carl Nipperdey und Alfred Hueck verfasste „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ in Kraft gesetzt. Es beseitigte die Reste des Weimarer Arbeitsrechts und verankerte das „Führerprinzip“ in den Betrieben, indem Arbeitnehmer als „Gefolgsleute“ bestimmt wurden.[4]

Nach 1945 wurden die Gewerkschaften wieder zugelassen. Das Kontrollratsgesetz Nr. 22 vom 10. April 1946, das als vorkonstitutionelles Recht in der Bundesrepublik auch nach deren Gründung in Kraft blieb, erlaubte die Bildung von Betriebsräten. Neben diesem Rahmengesetz wurden Landesgesetze erlassen, so dass aufgrund der Zersplitterung eine bundeseinheitliche Regelung notwendig wurde.

„Der Kampf um die Ausgestaltung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Oktober 1952 wurde mit großer Erbitterung geführt, nachdem schon im Jahr vorher der Kampf um die Mitbestimmung in den Betrieben des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie beinahe zu einer Staatskrise geführt hätte.“[5] Die Gewerkschaften konnten sich mit ihren Vorstellungen für eine „Wirtschaftsdemokratie“ nicht durchsetzen.

Vor allem als erster Präsident des Bundesarbeitsgerichts in Kassel von 1954 bis 1963 konnte Nipperdey seine Ideologie des Arbeitsverhältnisses als eines „personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses“ als „herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung“ in die Nachkriegszeit übertragen. „Rechtsprechung“ hießen dabei die einschlägigen Urteile des BAG unter eben seiner Ägide. Und als „Literatur“ firmierten Lehrmeinungen, die von ihm selbst sowie seinen Mitarbeitern Hueck, Rolf Dietz und Arthur Nikisch vertreten wurden. Durch diese unabhängig von demokratischen Gesetzen im Wege der „Rechtsfortbildung“ und „Rechtsschöpfung“ durchgesetzten Auffassungen wurde der Umbau des Arbeitsverhältnisses von einem Austausch- zu einem „Gemeinschaftsverhältnis“ erreicht, das die Interessen des Arbeitnehmers unterordnet. Das drückt sich u. a. darin aus, dass – im Widerspruch zur allgemeineuropäischen Rechtsprechung – der politische Streik in der Bundesrepublik als verboten gilt, dass auch Whistleblowing strafbar ist, hingegen Verdachtskündigungen aufgrund gestörten „Vertrauens“ auf Arbeitgeberseite möglich sind.[6]

Im Mitbestimmungsgesetz von 1976 wurde die Mitbestimmung in Großbetrieben ausgebaut.

In der DDR war das Arbeitsrecht u. a. in einem einheitlichen Arbeitsgesetzbuch geregelt.

Rechtsquellen

Trotz einiger Bemühungen und der Regelung im Einigungsvertrag (Art. 30), ein Arbeitsgesetzbuch zu schaffen, gibt es bisher noch keine einheitliche Kodifikation des Arbeitsrechts. Regelungen finden sich daher zersplittert u. a. in folgenden Rechtsquellen[7]:

(Zur Rangordnung der unterschiedlichen Rechtsquellen vergleiche Günstigkeitsprinzip sowie Normenpyramide im Arbeitsrecht.)

Arbeitsvertrag

Ausgangspunkt des Arbeitsrechts ist der Arbeitsvertrag, durch den das Arbeitsverhältnis überhaupt erst begründet wird. Der Arbeitsvertrag ist eingebettet in ein komplexes System arbeitsrechtlicher Regulierungen durch Betriebsvereinbarungen bzw. Dienstvereinbarung (im öffentlichen Dienst), Tarifverträge, nationale Gesetze und Verordnungen sowie durch supranationale EU-Richtlinien und EU-Verordnungen. Auch der Rechtsprechung durch die nationalen Gerichte und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kommt eingeschränkt eine rechtsetzende Funktion zu.

Der Arbeitsvertrag, auch Anstellungsvertrag, ist nach deutschem Recht ein Vertrag zur Begründung eines privatrechtlichen Schuldverhältnisses über die entgeltliche und persönliche Erbringung einer Dienstleistung. Der Arbeitsvertrag wird in § 611a BGB geregelt und stellt eine Unterart des Dienstvertrages dar. Werden Arbeitsvertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, unterliegen sie grundsätzlich auch dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. ff. BGB. Im Unterschied zum freien Dienstverhältnis ist das durch den Arbeitsvertrag begründete Arbeitsverhältnis von der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber gekennzeichnet. Der Arbeitnehmer kann im Wesentlichen nicht selbst seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen. Er ist vielmehr in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert und unterliegt typischerweise den Weisungen des Arbeitgebers über Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit.

Kollektives Arbeitsrecht

Unter dem kollektiven Arbeitsrecht versteht man das Recht der arbeitsrechtlichen Koalitionen (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände), das Tarifvertrags­recht, das Arbeitskampfrecht (Streiks und Aussperrungen) sowie das Mitbestimmungsrecht in Unternehmen und Betrieben.

Tarifvertragsrecht

Das Tarifvertragsrecht ist im Tarifvertragsgesetz geregelt. Das Arbeitskampfrecht ist vorwiegend Richterrecht; eine gesetzliche Normierung ist bislang nicht erfolgt. Rechtliche Grundlage des Tarifvertragsrechts sind die Koalitionsfreiheit, Art. 9 Abs. 3 GG und die Tarifautonomie.

Unternehmensmitbestimmung

Zu unterscheiden ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in privaten Betrieben und die Mitbestimmung in Unternehmen. Ein Unternehmen ist ein Rechtsträger (Einzelperson, Gesellschaft, juristische Person), der einen oder mehrere Betriebe führen kann. Betriebe sind organisatorische Einheiten, mittels derer der Unternehmer einen Betriebszweck (z. B.: Produktion, Dienstleistung) zu erfüllen versucht.

Mitbestimmung im Aufsichtsrat

Die Unternehmensmitbestimmung im Aufsichtsrat ist im Drittelbeteiligungsgesetz, im Mitbestimmungsgesetz und im Montan-Mitbestimmungsgesetz geregelt. Das Drittelbeteiligungsgesetz hat 2004 die Weitergeltung von Teilen des BetrVG von 1952 abgelöst, ohne inhaltliche Änderungen nach sich zu ziehen.

Betriebsrat und vergleichbare Gremien

Die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer in privaten Betrieben ist im Betriebsverfassungsgesetz und im Sprecherausschussgesetz geregelt. Sie wird durch Betriebsräte und für die leitenden Angestellten durch Sprecherausschüsse ausgeübt, die von den Arbeitnehmern in freier und geheimer Wahl bestimmt werden.

In Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Dienstes sind Personalvertretungen zuständig, deren Arbeitsgrundlagen für die Bundesverwaltung im Bundespersonalvertretungsgesetz, ansonsten in Personalvertretungsgesetzen der 16 Bundesländer enthalten sind. In kirchlichen Tendenzbetrieben sind Mitarbeitervertretungen aufgrund kirchlichen Arbeitsrechtes tätig.

Rechtsgrundlagen

Im kollektiven Arbeitsrecht bestehen neben staatlichen Gesetzen Kollektivvereinbarungen als zwingende Rechtsgrundlagen für die erfassten Arbeitsverhältnisse. Das sind einmal branchen- oder unternehmensbezogen die Tarifverträge und betriebsbezogen die Betriebsvereinbarungen (bzw. im öffentlichen Dienst Dienstvereinbarungen).

Siehe auch

  • Gesetzliche Ausschlussfristen im Arbeitsrecht (Deutschland)
  • Privatautonome Ausschlussfristen im Arbeitsrecht (Deutschland)

Literatur

Handbücher

  • Michael Kittner, Bertram Zwanziger, Olaf Deinert (Hrsg.): Arbeitsrecht. Handbuch für die Praxis. 6. Auflage, Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-7663-6085-4 (Buch mit CD).
  • Heinrich Kiel, Stefan Lunk, Hartmut Oetker (Hrsg.): Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht. 4. Auflage. C.H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-71330-9.
  • Rolf Geffken: Umgang mit dem Arbeitsrecht : Handbuch für Beschäftigte : Neuauflage und Altauflage in einem: 40 Jahre Erfahrung mit dem Arbeitsrecht Cadenberg 2019, ISBN 978-3-924621-18-6
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Übersicht über das Arbeitsrecht / Arbeitsschutzrecht. Januar 2008, ISBN 978-3-8214-7281-2 (Buch mit CD).

Lehrbücher

  • Hans Brox, Bernd Rüthers, Martin Henssler: Arbeitsrecht. 18. Auflage, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-17-021515-3.
  • Michael Wollenschläger: Arbeitsrecht. 3. Auflage, Heymanns, Köln 2010, ISBN 978-3-8006-4136-9.
  • Abbo Junker: Grundkurs Arbeitsrecht. 14. Auflage, Verlag C.H. Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-61585-6.
  • Monika Hausmann: Die Reaktion auf Willensmängel beim Arbeitsvertragsschluss. Herbert Utz Verlag, München 2008, ISBN 978-3-8316-0809-6.
  • Wolfgang Däubler: Arbeitsrecht – Ratgeber für Beruf, Praxis und Studium. 8. Aufl. 2010, Bund-Verlag, Frankfurt a. M., ISBN 978-3-7663-3991-1.
  • Wilhelm Dütz & Gregor Thüsing: Arbeitsrecht. 20. Auflage, Beck Juristischer Verlag, München 2015, ISBN 978-3-406-60559-8.
  • Günter Marschollek: Arbeitsrecht. 18. Auflage, Alpmann Schmidt, Münster 2011, ISBN 978-3-86752-166-6.

Kommentare

  • Wolfgang Däubler, Birger Bonin, Olaf Deinert: AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht (Kommentierung zu den §§ 305-310 BGB), 3. Auflage, München 2010, Verlag Franz Vahlen, ISBN 978-3-8006-3772-0.
  • Martin Henssler, Heinz Josef Willemsen, Heinz-Jürgen Kalb: Arbeitsrecht-Kommentar. 2. Auflage. O. Schmidt, Köln 2006, ISBN 3-504-42658-6.
  • Küttner, Jürgen Röller (Hrsg.): Personalbuch 2010. Arbeitsrecht – Lohnsteuerrecht – Sozialversicherungsrecht (Kommentierung nach Stichworten), 17. Auflage, München 2010, Verlag C.H. Beck, ISBN 978-3-406-57813-7.
  • Peter Wedde (Hrsg.): Arbeitsrecht. Kompaktkommentar zum Individualarbeitsrecht mit kollektivrechtlichen Bezügen. 2. Auflage. Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-7663-3995-9.
  • Rudi Müller-Glöge, Ulrich Preis, Ingrid Schmidt (Hrsg.): Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht. 19. Auflage. C.H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-72471-8.

Zur Geschichte

  • Reinhard Richardi: Arbeitsrecht im Wandel der Zeit – Chronik des deutschen Arbeitsrechts. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-74304-7 (194 S.).

Zeitschriften

Weblinks

Wiktionary: Arbeitsrecht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Zum Arbeitsrecht im 19. Jahrhundert vgl. Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, I. Abteilung: Von der Reichsgründungszeit bis zur Kaiserlichen Sozialbotschaft (1867–1881), 4. Band: Arbeiterrecht, bearbeitet von Wolfgang Ayaß, Karl Heinz Nickel und Heidi Winter, Darmstadt 1997; Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, II. Abteilung: Von der Kaiserlichen Sozialbotschaft bis zu den Februarerlassen Wilhelms II. (1881–1890), 4. Band: Arbeiterrecht, bearbeitet von Wilfried Rudloff, Darmstadt 2008; Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, III. Abteilung: Ausbau und Differenzierung der Sozialpolitik seit Beginn des Neuen Kurses (1890–1904), 4. Band, Arbeiterrecht, bearbeitet von Wilfried Rudloff, Darmstadt 2011.
  2. Reinhard Richardi et al. (Hrsg.): Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht. 3. Auflage. Band 1. Beck, München 2009, S. 10.
  3. a b Richardi, S. 15.
  4. Rolf Geffken: Wie Nazi-Juristen um Hans Carl Nipperdey das deutsche Arbeitsrecht bis heute prägen. in: der Freitag 16/2021 [1], abgerufen am 30. April 2021
  5. Richardi, S. 19.
  6. Rolf Geffken: Wie Nazi-Juristen um Hans Carl Nipperdey das deutsche Arbeitsrecht bis heute prägen. in: der Freitag 16/2021 [2], abgerufen am 30. April 2021
  7. Hermann Reichold: Arbeitsrecht, 3. Auflage 2008, Verlag C.H. Beck, München, ISBN 978-3-406-57824-3, § 3 Rn. 1.
  8. Reichold, § 3 Rn. 1, 36.