Arabisches Einheitsstreben

Arabisches Einheitsstreben, das Streben nach der Einheit (wahda) des arabischen Vaterlandes (watan), ist eines der Hauptanliegen des arabischen Nationalismus bzw. Panarabismus, vor allem seiner nasseristischen und baathistischen Vertreter. Auf den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi gehen zahlreiche Versuche zum Zusammenschluss mit anderen arabischen Staaten zurück. Die Varianten reichen von der Vereinigung der politischen Führung zweier oder dreier Staaten über Konföderationen und Föderationen bis zum Einheitsstaat. Trotz einiger dynastischer Aspekte (bis 1958) hat das Einheitsstreben vor allem einen antikolonialistischen Charakter. Faktisch alle Projekte scheiterten an den Rivalitäten ihrer politischen Führer, faktisch wurde keines verwirklicht. Die meisten Projekte kamen über die Ankündigung eines Vorschlages kaum hinaus.

Die Hochphase dieses Einheitsstrebens liegt zwischen 1920 (erster Pansyrischer Kongress) und 1990 (Einheit Jemens, aber Scheitern der libysch-sudanesischen Union bzw. der irakischen Annexion Kuwaits).

Vorübergehend erfolgreiche Bemühungen

Gescheiterte Projekte oder Vorschläge

Länder der Arabischen Welt
Von Libyen 1969 bis 1994 ausgehendes Einheitsstreben: mit einigen Staaten kam es zu mehrfachen Einigungsversuchen (dreimal mit Ägypten und Sudan; zweimal mit Syrien; je einmal mit Marokko, Algerien, Tunesien, Malta, Tschad und Palästina)
Die Präsidenten Algeriens (Ben Bella, links), Ägyptens (Nasser, Mitte) und Tunesiens (Bourguiba, rechts) 1963 beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga: Bourguiba opponierte gegen Nassers Nahostpolitik, dessen Sozialismus und Panarabismus sowie gegen Nassers Nachfolger Sadat
Ideologische, wirtschaftliche, politische und militärische Expansionsbestrebungen des baathistischen Irak 1963–2003
Ideologische, wirtschaftliche, politische und militärische Expansionsbestrebungen des baathistischen Syrien 1958–2005
ZeitraumProjektBeteiligteZiel
1946–1948GroßsyrienJordanien, Libanon, Palästina, SyrienVereinigungspläne des transjordanischen Königs Abdallah scheitern an den Parlamenten Libanons und Syriens, Jordanien besetzt aber Teile Palästinas
1943–1951Arabische UnionIrak, Syrien (Großsyrien)Pläne des irakischen Premiers Nuri as-Said (1943) bzw. syrischer Putschisten (1949) zum Anschluss Syriens (und Jordaniens) an den Irak scheitern an syrischen Gegenputschen
1952–1956Einheit des NiltalsÄgypten, SudanAnspruch Ägyptens auf den Anglo-Ägyptischen Sudan
1960–1962GroßmarokkoMarokko, Mauretanien, Algerien1960–1961 unterstützte die Arabische Liga den Anspruch des Sultans bzw. Königs in Rabat auf den Anschluss Mauretaniens an Marokko, welchen Frankreich ablehnte. Marokkos Ansprüche auf Algerien hingegen wurden 1961–1962 von der Arabischen Liga zurückgewiesen, von Frankreich aber unterstützt.
1961Vereinigter IrakIrak, KuwaitGroßbritannien und eine Interarabische Sicherheitstruppe verhindern den Anschluss Kuwaits an den Irak, Kuwait wird unabhängig.
1963Vereinigte Arabische RepublikÄgypten, Irak, Syrienpolitisch-militärisch-wirtschaftliche Föderation zwischen Ägypten, Syrien und dem Irak, scheitert nach nasseristischem Putschversuch in Syrien
1964–1966Vereinigte Arabische RepublikÄgypten, IrakVereinigte Politische Führung zur allmählichen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Verflechtung, scheitert nach nasseristischen Putschversuchen im Irak
1964–1967Vereinigte Arabische RepublikÄgypten, NordjemenVereinigte Politische Führung zur allmählichen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Verflechtung, Nasser lehnt schnellen Anschluss ab, faktisch jedoch ist Nordjemen unter ägyptischer Kontrolle
1964–1965Gemeinsamer Arabischer MarktÄgypten, Irak, Jordanien, SyrienNasser warnt 1965 vor einer zu schnellen arabischen Vereinigung ohne vorherige wirtschaftliche Integration,[1] Kuwait nimmt vom geplanten Beitritt Abstand
1964–1970Union des Arabischen MaghrebAlgerien, Libyen, Marokko, Tunesienwirtschaftliche Integration, gemeinsamer Markt
1965Vereinigte Arabische RepublikÄgypten, SchardschaSuche des Emirs von Schardscha und Nassers nach einem Bündnis gegen Großbritannien und Saudi-Arabien
1967–1968Einheitsstaat der sozialistischen AraberÄgypten, Algerien, Irak, SyrienAufforderung des links-baathistischen Präsidenten Atassi an sozialistisch-orientierte Regimes, sich mit Syrien zusammenzuschließen, scheitert mit dem rechts-baathistischen Putsch im Irak
1968Föderation Arabischer Emiratedie späteren VAE, Katar und Bahrainwirtschaftliches, politisches und militärisches Bündnis der Golfemirate gegen Saudi-Arabien und Iran nach Ende des britischen Protektorats
1969Vereinigte Arabische RepublikÄgypten, Irak, Syriensyrische Unionspläne mit Ägypten und anderen revolutionären Staaten, irakische Unionspläne mit Syrien und anderen arabischen Staaten, letztlich nur syrisch-irakisches Militärbündnis
1969–1970Revolutionäre Arabische FrontÄgypten, Libyen, Sudanwirtschaftliches, politisches und militärisches Bündnis als Vorstufe einer späteren Föderation
1971–1973Föderation Arabischer RepublikenÄgypten, Libyen, Syrienwirtschaftliches, politisches, militärisches und kulturelles Bündnis als Vorstufe eines Bundesstaates, innerhalb desselben ägyptisch-libyscher Einheitsstaat geplant
1972Libysch-Maltesische BundesrepublikLibyen, Maltawirtschaftliches, politisches und militärisches Bündnis[2][3]
1972–1977Jemenitische VolksrepublikJemenitische Arabische Republik (JAR), Volksdemokratische Republik Jemen (VDRJ)Erster Anlauf zur „Wiedervereinigung“ Nordjemens (JAR) und Südjemens (VDRJ)
1972–1974Vereinigtes Arabisches KönigreichJordanien, PalästinaPersonalunion als Teil eines Friedens mit Israel, der Vorschlag des jordanischen Königs wird von Palästinensern, Israel und Arabischer Liga zurückgewiesen
1972Vereinigte Arabische RepublikÄgypten, Irak, Syrien, PLOder irakische Unionsvorschlag kollidiert mit der FAR, daher Einladung an Irak zum Beitritt zur Föderation
1972–1974Arabische Islamische RepublikLibyen, Tunesien1972 Einladung Tunesiens zum Anschluss an die FAR, 1973 Vorschlag Tunesiens zur Vereinigung mit Algerien und Libyen, 1974 libysch-tunesischer Einheitsstaat scheitert an der Neo-Destur-Partei
1975–1976Oberster Politischer KommandoratJordanien, Syrienwirtschaftliche, politische und militärische Integration scheitert an syrischer Wiederhinwendung zu Ägypten
1976–1977Föderation Arabischer RepublikenÄgypten, Sudan, SyrienVereinigte Politische Führung zur Vorbereitung eines ägyptisch-syrischen Einheitsstaats innerhalb einer Ägyptisch-Syrisch-Sudanesischen Föderation scheitert an Sadats Jerusalem-Besuch
1978–1979Charta der gemeinsamen nationalen AktionIrak, Syrienwirtschaftliche, politische, militärische und ideologische Union der beiden baathistischen Staaten scheitert an irakischer Forderung nach Wiedervereinigung der Baath-Partei
1979–1982Jemenitische VolksrepublikJemenitische Arabische Republik (JAR), Volksdemokratische Republik Jemen (VDRJ)Zweiter Anlauf zur „Wiedervereinigung“ Nordjemens (JAR) und Südjemens (VDRJ), gemeinsame Verfassung
1980Organische UnionLibyen, Syriensozialistischer Einheitsstaat scheitert an syrischer Militärbürokratie
1981, 1983–84DschamahirijaLibyen, Tschadzunächst Plan einer Union (1981), später einer Konföderation (1983–1984), scheitert an französischer Intervention, doch die Nordhälfte des Tschad steht bis 1987 faktisch unter libyscher Kontrolle
1982–1985Integrale UnionÄgypten, Sudanwirtschaftliche, militärische und politische Verflechtung scheitert am Umsturz im Sudan
1982–83, 1985–86Konföderation Arabischer StaatenJordanien, PalästinaDas geplante Bündnis scheitert am Streit um die Staatsform (Föderation oder Personalunion) und der Blockade Israels
1983Union des Arabischen MaghrebAlgerien, Mauretanien, Tunesienwirtschaftliches und militärisches Bündnis gegen Marokko
1984–1986Arabisch-Afrikanische FöderationLibyen, Marokkowirtschaftliches und politisches Bündnis gegen die algerisch-mauretanisch-tunesische Allianz scheitert an marokkanischen Israel-Kontakten
1986–1987Arabische UnionLibyen, Sudanwirtschaftliche und politische Verflechtung scheitert an der inneren Zerrissenheit Sudans
1987Arabische UnionAlgerien, Libyenwirtschaftliche und politische Verflechtung scheitert an algerischen Bedenken
1988Konföderation Arabischer StaatenLibyen, Palästinawirtschaftliches und politisches Bündnis
1988–1989Vereinigte Arabische FrontIrak, SyrienMilitärbündnis gegen Israel, scheitert am syrisch-irakischen Gegensatz im Libanon-Konflikt
1989–1990Arabischer KooperationsratÄgypten, Irak, Jordanien, Nordjemenwirtschaftliches und politisches Bündnis gegen den Golfkooperationsrat, Syrien tritt wegen des Libanon-Konflikts nicht bei, scheitert am ägyptisch-irakischen Gegensatz im Kuwait-Krieg
1990–1991Vereinigter IrakIrak, KuwaitDer Irak besetzt und annektiert die „Volksrepublik Kuwait“, der Anschluss wird international und völkerrechtlich nicht anerkannt
1990–1994Integrale UnionLibyen, Sudanpolitische, wirtschaftliche, militärische und ideologische Verflechtung, Einladung an Ägypten (1990) und Irak (1994)
1991–1993Konföderation Arabischer StaatenJordanien, Palästinagemeinsame Delegation bei der Madrider Konferenz als erster Schritt für eine politische und wirtschaftliche Integration

Einzig vollzogene Projekte

Lockere Wirtschaftsbündnisse

Quellen

  • Günter Kettemann: Atlas zur Geschichte des Islam. (Der Pan-Arabismus: Pakte und Zusammenschlüsse) Darmstadt 2001, ISBN 3-534-14118-0, S. 163–166.
  • Lothar Rathmann (Hrsg.): Geschichte der Araber – Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bände 6 und 7. Akademie-Verlag, Berlin 1983.
  • Günther Barthel (Hrsg.): Die arabischen Länder – Eine wirtschaftsgeographische Darstellung. Haack, Gotha 1987.
  • Johannes Berger, Friedemann Büttner und Bertold Spuler: Nahost-PLOETZ – Geschichte der arabisch-islamischen Welt zum Nachschlagen. Freiburg/Würzburg 1987.

Einzelnachweise

  1. Lothar Rathmann: Geschichte der Araber. Band 7, Berlin 1983, S. 525.
  2. Günther Barthel (Hrsg.): Die arabischen Länder - Eine wirtschaftsgeographische Darstellung. Haack, Gotha 1987, S. 11.
  3. Lothar Rathmann: Geschichte der Araber. Band 6, Berlin 1983, S. 185.

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Syrisch-baathistisches Hegemonialstreben von 1958 bis 2005 (Ausbreitung der Baath-Partei, Unionspläne, Bündnisse, militärische Interventionen)
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Egypt´s president Nasser with Tunisia's Bourguiba and Algeria's Ben Bella
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Irakisches Hegemoniestreben zwischen 1963 und 2003 (Ausbreitung der Baath-Partei, Wirtschaftsbündnisse, Unionspläne, militärisches Eingreifen)
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Verschiedene Vereinigungsprojekte Libyens bis 1994:
 
Dreimal mit Ägypten und dem Sudan,
 
Zweimal mit Syrien,
 
Einmal mit Algerien, Malta, Marokko, Tunesien, Palästina und dem Tschad.