André Bazin

André Bazin

André Bazin (* 18. April 1918 in Angers, Département Maine-et-Loire; † 11. November 1958 in Nogent-sur-Marne, Département Val-de-Marne) gilt als bedeutendster französischer Filmkritiker nach dem Zweiten Weltkrieg und geistiger Vater der Nouvelle Vague.

Leben

Nach einem Lehramtsstudium war Bazin seit 1943 als Filmkritiker und in der französischen Filmclubbewegung tätig.

Bazin war zeitlebens sehr kränklich und litt an Tuberkulose, was ihn immer wieder dazu zwang, kürzerzutreten. Er starb schließlich 1958 an Leukämie.

Rezeption

Bazin etablierte mit seinen Texten die Filmkritik in Frankreich als intellektuell hochstehendes Metier. 1951 gründete er zusammen mit Jacques Doniol-Valcroze die Zeitschrift Les Cahiers du cinéma, in der unter anderem François Truffaut, Jean-Luc Godard, Jacques Rivette, Luc Moullet, Éric Rohmer und Claude Chabrol veröffentlichten.

Seine wichtigsten Texte wurden in den vier Sammelbänden Qu’est-ce que le cinéma ? publiziert. Daneben erschienen zahlreiche weitere Textsammlungen von Bazin, u. a. über Charlie Chaplin. Bazin war zudem Autor von Monographien über Orson Welles sowie Jean Renoir. Letztere blieb ein Fragment und wurde unter der Leitung von Truffaut von verschiedenen Cahiers-Kritikern ergänzt und nach seinem Tode publiziert.

Bazin legte den Grundstock für die spätere ethische und semiotische Theorie.

In seinem Hauptwerk Was ist Film? weist Bazin darauf hin, dass ihm Fragen wichtiger sind als Antworten. Seine Filmtheorie ist kein zusammenhängendes Werk, sondern eine Sammlung von Essays, in denen er ständig neu bewertet und seine Theorie kritisch überarbeitet. Bazin argumentiert als ehemaliger Student der Phänomenologie vom Realismus kommend, wobei sein Schwerpunkt wohl besser „Funktionalismus“ und nicht Realismus genannt werden sollte. Denn Filme hätten nicht auf Grund dessen, was sie sind, ihre Bedeutung, sondern auf Grund dessen, was sie bewirken. Film ist für ihn also gerade nicht gleichbedeutend mit Realität, so wie Siegfried Kracauer dies noch sah.

Die Psychologie wird zu einem entscheidenden Faktor neben, wenn nicht über der Ästhetik. Wenn die Entwicklung der Filmkunst so eng mit der Psychologie zusammenhängt, dann gilt dies ebenso für die Wirkung eines Films. Diese Tendenz erfährt im italienischen Neorealismus, dem Bazin nahestand, ihren Höhepunkt: Die Technik tritt zugunsten einer ethischen und politischen – letztlich psychologischen – Wirkung zurück, sodass Bazin fragen konnte: „Ist nicht der Neo-Realismus in erster Linie ein Humanismus und erst dann ein Regie-Stil?“. Für die filmtheoretische Entwicklung bedeutet das, dass die Formalisten unter Wsewolod Pudowkin, Sergei Eisenstein und Béla Balázs die Montage als das Herzstück des realistischen Filmschaffens sahen; Bazin hingegen stellt die Mise-en-scène als wesentlich in den Mittelpunkt. Mise-en-scène beinhaltet für ihn in erster Linie Schärfentiefe und Plansequenzen, mithin technische Möglichkeiten, den Zuschauer intensiver am Geschehen teilhaben zu lassen, als dies in der Realität möglich wäre. Der Zuschauer wird durch das näher am Geschehen sein dazu gezwungen, sich sein Bild von der Welt aus seiner Aufmerksamkeit neu zu schaffen – es also zu interpretieren. Gingen die Formalisten in ihrer Theorie noch davon aus, dass eine in der Montage geschaffene Sequenz eindeutig sei, so gibt Bazin durch die Möglichkeit der Interpretation dem Zuschauer das Gefühl für die Mehrdeutigkeit der Realität zurück.

Bazin führt also den subjektiven Blick als essentiell für die Sichtung als auch Bewertung von Filmen in die Filmtheorie ein; filmästhetisch ging es seit seinen Texten immer auch um Identifikation.

Werke (Auswahl)

  • (mit Jean Cocteau), Orson Welles, Paris 1950 – Taschenbuchausgabe: Paris: Cahiers du Cinéma (Petite Bibliotheque), 2003
  • Qu’est-ce que le cinéma ? – vierbändige von Bazin selbst vorgenommene Auswahl seiner Schriften zum Kino:
  1. Ontologie et Langage. Paris 1958.
  2. Le cinéma et les autres arts. Paris 1959.
  3. Cinéma et sociologie. Paris 1961.
  4. Une esthétique de la verité. Le néo-realisme. Paris 1962.

Eine Auswahl aus der vierbändigen Qu’est-ce que le cinéma ? erschien 1975 unter dem irreführenden Titel Qu’est-ce que le cinéma ? Edition définitive. Die folgenden deutschen Ausgaben basieren auf dieser Teilausgabe.

  • André Bazin, Was ist Kino? : Bausteine zur Theorie des Films, Köln: Dumont, 1975 – Auswahl aus der „Edition définitive“
  • André Bazin, Robert Fischer (Hrsg.), Was ist Film?, Berlin: Alexander Verlag, 2004 – enthält alle in der „Edition définitive“ enthaltenen Texte.

Weitere Texte aus Qu’est-ce que le cinéma ? (nicht enthalten in Was ist Film?) auf Deutsch:

  • «William Wyler ou le jansenisme de la mise en scène», dt. „William Wyler oder der Jansenist der Inszenierung“, in: André Bazin, Filmkritiken als Filmgeschichte, München: Hanser, 1978
  • «Le cas Pagnol» dt. „Der Fall Pagnol“ in: André Bazin, Filmkritiken als Filmgeschichte, München: Hanser, 1978
  • «Le mythe de M. Verdoux», dt. „Der Mythos des Monsieur Verdoux“ in Filmkritik, Nr. 296 (Mai 1979) – bedeutender Essay über Charlie Chaplins Spätwerk

Zahlreiche Texte Bazins liegen auch 50 Jahre nach seinem Tod nicht auf Deutsch vor.

Literatur

  • Emilie Bickerton: Eine kurze Geschichte der Cahiers du cinéma („A short history of Cahiers du cinéma“). diaphanes 2010, ISBN 978-3-03734-126-1.
  • Wissenschaftliche Literatur (Open Access) zu André Bazin auf https://mediarep.org/
  • James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache und Theorie des Films und der neuen Medien; mit einer Einführung in Multimedia („How to read films“). Rowohlt, Hamburg 2009, ISBN 978-3-499-62538-1.
  • Hartmann Schmige: Eisenstein, Bazin, Kracauer. Zur Theorie der Filmmontage. 2. Aufl. Medienladen, Hamburg 1977.
  • Warum Bazin (Themenheft montage AV), 18/1, 2009, ISBN 978-3-89472-470-2.
  • Dudley Andrew: André Bazin. Neuausgabe. Columbia University Press, New York 1991, ISBN 0-231-07398-4 (Biographie, Nachdr. d. Ausg. London 1978).

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