Abgeordnetenkammer (Libanon)

Parlamentsgebäude in Beirut

Die Abgeordnetenkammer (französisch Chambre des députés, arabisch مجلس النواب, DMG Maǧlis an-Nuwwāb) ist das Einkammer-Parlament des Libanon.[1]

Sie wird auf jeweils vier Jahre in allgemeinen Wahlen gewählt und besteht gegenwärtig aus 128 Abgeordneten. Ihre Hauptfunktionen sind die Wahl des Präsidenten, die Bestätigung der Regierung (trotz der Ernennung durch den Präsidenten müssen Ministerpräsident und Kabinett das Vertrauen des Parlaments gewinnen) und die Verabschiedung der Gesetze und des Haushalts. Sie hat damit eine – im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten – einflussreiche Rolle im politischen System Libanons.

Das Parlamentsgebäude befindet sich im Zentrum der libanesischen Hauptstadt Beirut auf der westlichen Seite des Sāhat an-Nadschma, des Sternplatzes gegenüber dem Beiruter Uhrenturm.

Sitzverteilung

Eine Einzigartigkeit des libanesischen Wahlrechts ist das Prinzip der konfessionellen Parität: Jede religiöse Gemeinschaft hat eine festgelegte Zahl von Vertretern im Parlament. In den Wahlen zwischen 1932 und 1972 (der letzten vor Beginn des libanesischen Bürgerkriegs) waren die Sitze zwischen Christen und Muslimen im Verhältnis 6:5 aufgeteilt, wobei dies mit einigen Abweichungen ungefähr die grobe Proportionalität ihrer Größe widerspiegelte. Während der 1960er-Jahre entstand unter den Muslimen Unzufriedenheit gegenüber diesem System, da ihre eigene höhere Geburtenrate und die höhere Zahl der Auswanderer unter den Christen zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich eine muslimische Mehrheit geschaffen hatte, die durch die Verteilung der Sitze im Parlament nicht berücksichtigt wurde. Christliche Politiker waren jedoch nicht bereit, einer Änderung des Systems zuzustimmen. Dies war einer der Faktoren, die 1975 zum Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs führten. Das Abkommen von Taif von 1989, mit welchem der Bürgerkrieg endete, teilte die Sitze des Parlaments neu auf. In der Folge erhielten beide Seiten, Christen und Muslime, eine ebenbürtige Vertretung von jeweils 64 der 128 Abgeordnetensitze.

Obwohl aufgrund ihrer Konfessionsverteilung aufgestellt, sind die Mitglieder allerdings, unabhängig von ihrem eigenen Glauben, der allgemeinen Wahl unterworfen und daher gezwungen, Unterstützung außerhalb ihrer eigenen religiösen Gemeinschaft zu suchen, es sei denn, dass ihre Konfession den jeweiligen Wahlbezirk herausragend dominiert.

Das Abkommen von Taif änderte die Sitzzuweisung wie folgt:

Sitzzuweisung in der libanesischen Abgeordnetenkammer
KonfessionVor TaifNach Taif
Maroniten3034
Griechisch-Orthodoxe1114
Griechisch-Katholiken68
Armenisch-Orthodoxe45
Armenisch-Katholiken11
Protestanten11
Andere Christen11
Gesamt Christen5464
Sunniten2027
Schiiten1927
Drusen68
Alawiten02
Gesamt Muslime4564
Gesamt99128
Gouvernement
Wahlbezirk
Shia
Sunniten
Drusen
Alawiten
Maro-
niten

Griechisch-
Orthodoxe

Griechisch-
Katholische

Armenisch-
Orthodoxe

Andere
Christen
Beirut 19Beirut 1 2  111 1 (Protestanten)
Beirut 212   1 11 (Andere)
Beirut 3121    21 (Arm.-Kath.)
Bekaa 23Bekaa+Hermel62  1 1  
Zahle11  1121 
Rashaya + Westbekaa121 11   
Libanonberg 35Jbeil+Kisrawan1   7    
Nord-Metn    4211 
Baabda+Aley2 3 51   
Chouf 22 3 1  
Nordlibanon 28Akkar, Dinniyeh, Bischarri 5 132   
Tripoli, Zgharta, Batrun, Kurah 6 164   
Südlibanon 23Sidon, Tyros92    1  
Hasbaya, Nabatäa, Jezzine511 211  
Total 1282727823414853

Wahlsystem

Siehe Hauptartikel: Parlamentswahlen im Libanon 2005

Das System der Einteilung der Wahlbezirke wurde über die Jahre von vielen Politikern kritisiert, die behaupten, dass es für die Regierung einfach ist, die Grenzen durch Gerrymandering zu manipulieren. Der Wahlbezirk Baabda-Alayh, der für die Wahlen 2000 gebildet wurde, ist ein Beispiel: das überwiegend von Drusen bewohnte Gebiet um Alayh (östlich von Beirut) wurde mit dem überwiegend christlich bewohnten Gebiet um Baabda in einen Wahlkreis eingebracht. Dasselbe passiert auch im südlichen Libanon, was bedeutet, da obwohl einige Sitze des Wahlbezirks den Christen zugewiesen sind, diese sich zur Wahl in einem überwiegend muslimischen Gebiet zur Wahl stellen müssen. Oppositionelle Politiker, zumeist Christen, haben vorgeworfen, dass die Wahlkreisgrenzen bei den Wahlen 1992, 1996 und 2000 weitreichend durch Gerrymandering manipuliert waren, um eine pro-syrisch Mehrheit zu erreichen. Deswegen war auch der Ruf vorhanden, einen einzigen landesweiten Wahlbezirk zu schaffen. Bis sich die Vielzahl der religiösen und politischen Gruppierungen auf eine Änderung des Wahlsystems einigen, ist die Lösung der Kontroverse unwahrscheinlich.

Sprecher

Der Sprecher des Parlaments, der laut Verfassung ein schiitischer Muslim sein muss, wird für die komplette Wahlperiode des Parlaments gewählt. Er bildet eine Art „Troika“, zusammen mit dem Präsidenten (immer ein maronitischer Christ) und dem Ministerpräsidenten (immer ein sunnitischer Muslim). Die Rechte des Sprechers sind im Verhältnis zu anderen demokratischen Systemen ungewöhnlich weitreichend; beispielsweise hat der Sprecher das Vetorecht gegen alle Gesetze, die von der Mehrheit des Parlaments verabschiedet wurden. Der gegenwärtige Sprecher ist der Führer der Amal-Bewegung, Nabih Berri.

Politische Parteien

Im Libanon existieren zahlreiche politische Parteien. Viele davon sind wenig mehr als Ad-hoc-Wahllisten, die durch Verhandlungen zwischen einflussreichen örtlichen Personen entstehen und die verschiedenen Konfessionen repräsentieren; diese Listen bestehen üblicherweise nur für den Zweck der Wahl und bilden keine erkennbare parlamentarische Gruppierung nach der Wahl. Andere Parteien sind persönlichkeitsorientiert und setzen sich zusammen aus Anhängern eines gegenwärtigen oder vergangenen politischen Führers oder Warlord. Wenige der Parteien sind dagegen auf eine bestimmte politische Ideologie gegründet, obwohl die meisten eine solche zumindest theoretisch verfolgen. Noch nie hat eine einzige Partei mehr als 12,5 % der Sitze erreicht und bis 2005 hat keine Koalition zusammen mehr als ein Drittel der Sitze gewonnen. Die Wahlen im Mai/Juni 2005 brachten allerdings eine klare Mehrheit (72 Sitze von 128) für die von Saad Hariri (dem Sohn des ermordeten früheren Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri) geführte Koalition; die Hälfte der Sitze wurde durch Hariris eigene Zukunftsbewegung gewonnen. Die Hisbollah gewann 14 Sitze.[2]

Zusammensetzung

2005

AllianzenSitzeParteienSitze
Deutscher NameArabischer Name
Allianz des 14. März72ZukunftsbewegungTayyār al-Mustaqbal36
Progressiv-sozialistische Parteial-Ḥizb at-taqaddumī al-ištirākī16
Libanesische Kräfteal-Quwwāt al-lubnāniyya5
Qurnat-Schahwan-SammlungHizb al-Kata'ib al-Lubnaniyya

Ḥizb al-waṭaniyyīn al-aḥrār

6
Tripoli-Block3
Demokratische ErneuerungsbewegungḤarakat at-taǧaddud ad-dīmuqrāṭī1
Demokratische LinkeḤarakat al-Yasār ad-Dīmuqrāṭī1
Unabhängige4
Widerstands- und Entwicklungsblock35Amal-BewegungHarakat Amal15
HisbollahḤizbu 'llāh14
Syrische Soziale Nationalistische Parteial-Ḥizb as-Sūrī al-Qaumī al-Iǧtimāʿī2
Andere4
Aoun-Allianz21Freie Patriotische Bewegungat-Tayyār al-waṭanī al-ḥurr14
Skaff-Block5
Murr-Block2
Gesamt128

2009

AllianzenSitzeParteienSitze
Deutscher NameArabischer Name
Allianz des 14. März71ZukunftsbewegungTayyār al-Mustaqbal28
Progressiv-sozialistische Parteial-Ḥizb at-taqaddumī al-ištirākī10
Libanesische Kräfteal-Quwwāt al-lubnāniyya8
Qurnat-Schahwan-SammlungHizb al-Kata'ib al-Lubnaniyya

Ḥizb al-waṭaniyyīn al-aḥrār

6
Unabhängige & andere19
Allianz des 8. März57Amal-BewegungHarakat Amal13
Andere44
Gesamt128

2018

ParteiSitze
Zukunftsbewegung20
Courant patriotique libre24
Mouvement Amal16
Libanesische Kräfte14
Hezbollah13
Parti socialiste progressiste9
Mouvement Azm4
Phalanges libanaises3
Mouvement marada3
Parti social nationaliste syrien3
Armenische Revolutionäre Föderation3
Andere26

Frauenwahlrecht

Vor der Unabhängigkeit wurde unter der Verwaltung als französisches Schutzgebiet (Trust Territory) die Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz in Artikel 7 der Verfassung vom 26. Mai 1926 proklamiert, Frauen wurden nicht gesondert erwähnt.[3] 1926 wurde zwar ein aktives Frauenwahlrecht eingeführt, war aber an Bildungsvoraussetzungen gebunden.[3] 1943 wurde das Land unabhängig. Ab 1952 bestand für alle Männer Wahlpflicht, während Frauen ab 21 Jahren mit elementarer Bildung ein Wahlrecht hatten.[3] Zwischen 1952 und 1953 wurde das Wahlgesetz so umgestaltet, dass das aktive und passive allgemeine Frauenwahlrecht eingeführt wurde.[3][4] Frauen brauchen nach einer abweichenden Quelle allerdings für die Ausübung des Wahlrechts im Gegensatz zu Männern immer noch einen Bildungsnachweis (Stand 2007), während Männer völlig ohne Einschränkungen wählen können; außerdem besteht für Männer Wahlpflicht und für Frauen nicht.[5]

Einzelnachweise

  1. Offizielle Parlamentpage. Eingesehen am 6. Juni 2015.
  2. Council on Foreign Relations (Memento vom 27. September 2006 im Internet Archive)
  3. a b c d – New Parline: the IPU’s Open Data Platform (beta). In: data.ipu.org. 26. Mai 1926, abgerufen am 3. Oktober 2018 (englisch).
  4. Mart Martin: The Almanac of Women and Minorities in World Politics. Westview Press Boulder, Colorado, 2000, S. 40.
  5. Pamela Paxton, Melanie M. Hughes, Jennifer Green: The International Women|s Movement and Women’s Political Representation, 1893-2003. In: American Sociological Review, Band 71, 2006, S. 898–920, zitiert nach Pamela Paxton, Melanie M. Hughes: Women, Politics and Power. A Global Perspective. Pine Forge Press Los Angeles, London 2007, S. 62.

Koordinaten: 33° 53′ 48,6″ N, 35° 30′ 14,3″ O

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Flagge des Irans. Die dreifarbige Flagge wurde 1906 eingeführt, aber nach der Islamischen Revolution von 1979 wurden die Arabische Wörter 'Allahu akbar' ('Gott ist groß'), in der Kufischen Schrift vom Koran geschrieben und 22-mal wiederholt, in den roten und grünen Streifen eingefügt, so daß sie an den zentralen weißen Streifen grenzen.
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Die Flagge von Laos
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Die Flagge von Nepal mit rechtem Rand (Seitenverhältnis 3:4)
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Beirut, Lebanon - Lebanese parliament building at the Place d'Étoile