Abgeordneteneid

Ein Abgeordneteneid ist ein von einem Abgeordneten zu leistender Eid. Er ist grundsätzlich vergleichbar mit der Diensteid von Ministern, Richtern, Beamten oder Soldaten, weist aber aufgrund der Sonderstellung des Abgeordneten Besonderheiten auf. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Abgeordnete auf die Verfassung oder die Person des Staatsoberhauptes vereidigt wird, da es zu den Aufgaben des Parlamentes gehört, die Gesetze (und damit grundsätzlich auch Verfassung) zu ändern. Infolge dieses Spannungsfeldes wurde in vielen Fällen die Amtsleistung von Abgeordneten verweigert und damit politische Konflikte offenbar. Während historisch Abgeordneteneide üblich waren, sind sie heute nur noch in einigen Staaten zu finden.

Inhalte des Eides

Die Inhalte des verlangten Eides können vielfältig sein. Üblicherweise beinhaltet die Eidesformel mehrere der im Folgenden genannten Inhalte. Typische Inhalte sind:

Verpflichtung auf das Gemeinwohl

Weit verbreitet ist eine Verpflichtung des Abgeordneten auf das "allgemeines Wohl und Beste". Ein Beispiel für eine derartige Formulierung ist die Eidesformel in Titel VII, § 25 der Verfassung des Königreichs Bayern von 1818. Der Abgeordnete verpflichtet sich damit nicht nur dem Gemeinwohl. Die Formel richtet sich auch gegen die Abstimmung für Partikularinteressen und ist eng mit dem Freien Mandat verknüpft.

Verpflichtung auf Unabhängigkeit

Entsprechend dem Prinzip der Freiheit des Mandats verpflichten Eidesformeln die Abgeordneten darauf, keinen Weisungen zu folgen und lediglich dem eigenen Willen oder Gewissen zu folgen.

Treueeid

Insbesondere in Monarchien und Diktaturen ist es üblich, von den Abgeordneten einen Treueeid auf den Herrscher zu fordern. Dieser Aspekt des Eides folgt den Traditionen der historischen Landstände, zu deren Tradition Huldigung des Fürsten und ein Treueeid auf ihn gehörten.

Eid auf die Verfassung

Die Verpflichtung, die Verfassung und die Gesetze zu respektieren, ist ein vielfach vorkommender Teil der Eidesformel. Dieser Aspekt steht im Spannungsfeld zu der Aufgabe der Abgeordneten, Gesetze und teilweise auch die Verfassung zu ändern.

Reinigungseid

In einem Reinigungseid versichern Abgeordnete, bei ihrer Wahl keinen Wahlbetrug begangen zu haben.

Regelungen des Eides

Die Verpflichtung der Ablage des Abgeordneteneides kann unterschiedlich geregelt sein. Teilweise ist sie in der jeweiligen Verfassung geregelt, aber auch Regelungen im Wahlgesetz oder der Geschäftsordnung des Parlamentes kommen vor.

Vereidigung von Wahlmännern

Neben den Abgeordneten ist auch die Vereidigung der Wahlmänner möglich. Hier spielt vor allem der Aspekt des Reinigungseides eine Rolle, aber auch Unabhängigkeit und Gemeinwohlorientierung spielen eine Rolle.

„Ich schwöre, daß ich meine Wahlstimme nach freier innerer Ueberzeugung, wie ich solches zum allgemeinen besten des Landes für dienlich erachte, ohne Berücksichtigung einer Drohung, eines Versprechens oder eines Befehls, abgeben werde, und dießfalls von Niemand unter was immer für einem Namen, weder mittel- noch unmittelbar, irgend eine Gabe oder Geschenk angenommen habe, noch annehmen werde“

Eidesformel der Wahlmänner § 19 des bayerischen Gesetzes, die Wahl der Landtags-Abgeordneten betreffend (Verfassungsgesetz; IV. Beilage zum Abschiede für die Stände-Versammlung) vom 4. Juni 1848, Online

Nicht verpflichtende Eide

In den Vereinigten Staaten ist es üblich, dass neu gewählte Mitglieder des Kongresses auf der konstituierenden Sitzung den Pledge of Allegiance ablegen. Eine formale persönliche Verpflichtung hierzu besteht nicht.[1]

Beispiele für Eidesformeln

„Ich schwöre Treue dem Könige, Gehorsam dem Gesetze, Beobachtung und Aufrechthaltung der Staats-Verfassung und in der Stände-Versammlung nur des ganzen Landes allgemeines Wohl und Beste ohne Rücksicht auf besondere Stände oder Klassen nach meiner innern Ueberzeugung zu berathen; So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium.“

Eidesformel der Abgeordneten in Titel VII, § 25 der Verfassung des Königreichs Bayern von 1818

„Ich schwöre Treue dem Großherzog, Gehorsam dem Gesetze, genaue Befolgung der Verfassung und in der Stände-Versammlung nur das allgemeine Wohl nach bester, eigener durch keinen Auftrag bestimmter Überzeugung beraten zu wollen“

Eidesformel der Abgeordneten in Artikel 13 der Geschäftsordnung der Landstände des Großherzogtums Hessen

„Ich schwöre im Namen der Heiligen und Wesensgleichen und Unteilbaren Dreifaltigkeit, dem Vaterland und der demokratischen Staatsordnung die Treue zu bewahren, Gehorsam gegenüber der Verfassung und den Gesetzen zu üben und meine Pflichten gewissenhaft zu erfüllen.“

Artikel 59 (1) der griechischen Verfassung[2]

„Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze und gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

Gelöbnisformel nach § 4 GOG-NR: Dieses Gelöbnis wird zu Beginn der konstituierenden Sitzung vom Schriftführer verlesen, und von den Abgeordneten mit den Worten „Ich gelobe.“ geleistet.

Konflikte

Hauptkonfliktpunkte sind der Treueeid zum Herrscher und die Verpflichtung auf die Verfassung.

Ein Beispiel für den ersten Fall war die Verweigerung des Treueeides durch die Mehrzahl der Mitglieder der ersten hessischen Kammer 1820. Mitglied der ersten Kammer waren vor allem die Standesherren, die Chefs der mediatisierten, früher reichsunmittelbaren Familien. Machtpolitisch verfügten sie über keine Möglichkeit mehr, die frühere Herrschaft zurückzuerlangen, dennoch waren sie nicht bereit, einen Eid auf den Großherzog zu leisten. Ihren Sitz in der Kammer nahmen sie nicht ein. In der Folge wurden nach intensiven Verhandlungen Verträge zwischen den einzelnen Standesherren und dem Großherzogtum abgeschlossen, die die Standesvorrechte sicherten und die Standesherren legten den Eid ab und wirkten in der Ersten Kammer mit.

Ähnlich war die Situation der republikanischen Abgeordneten im hessischen Landtag knappe 100 Jahre später. Als Abgeordnete des Landtags auf den Großherzog vereidigt, beteiligten sie sich während der Novemberrevolution 1918 an der Absetzung des Großherzogs. Carl Ulrich, der erste Ministerpräsident nach dem Ausrufen der Republik, begründete das für sich wie folgt:

„Treue gegen Treue! Ich habe den Mut, dem Großherzog, dem ich die Treue geschworen habe, sie zu halten, und wenn es Zeit ist, das zu sagen, was ich als Republikaner für richtig halte. Ich würde meine Treue so weit treiben, Seiner Königlichen Hoheit, wenn ich sähe, das gesamte Hessenvolk stünde in seiner großen Mehrheit auf dem Boden der Republik, entsprechend meinem Eide zu sagen: Königliche Hoheit! Treue gegen Treue: Es wäre gut, wenn Sie Republikaner würden.“

Carl Ulrich nach einem Gespräch mit Großherzog Ernst Ludwig am 21. Dezember 1910[3]

Der zweite Konfliktpunkt ist die Verpflichtung auf die Verfassung. 2012 wurde Aung San Suu Kyi in einer freien Wahl als Abgeordnete in Myanmar gewählt. Sie weigerte sich, einen Eid auf die Verfassung abzulegen, in der die Vorherrschaft der Militärjunta festgeschrieben war. Erst nach einem Kompromiss legte sie die Eidesformel ab und trat ihr Mandat an.[4]

Literatur

  • Ernst Friesenhahn: Der politische Eid, § 7 – "Der Abgeordneteneid"; unveränderter Neudruck der Auflage von 1928, 1979, ISBN 3-534-07580-3, Seite 64–82

Einzelnachweise

  1. Zerfaserte Republikaner; in: FAZ vom 14. Dezember 2022, S. 8.
  2. Artikel 59 (1) der Verfassung von Griechenland
  3. Manfred Knodt: Ernst Ludwig: Grossherzog von Hessen und bei Rhein. Sein Leben und seine Zeit. 3. Auflage. Schlapp, Darmstadt 1997, ISBN 3-87704-006-3, Seite 167
  4. "Suu Kyi im Parlament vereidigt"; in FAZ vom 2. Mai 2012